Extraleben
schon fast zum Markenzeichen unserer Trips geworden sind. Nach zehn Minuten Fahrt durch das Städtchen, über das es absolut nichts zu sagen gäbe, erreichen wir den Autohaus-Gürtel. Nick hat mittlerweile seinen Rechner ausgepackt und jongliert ihn auf seinen Knien. »Hier rechts«, befielt er, während er mit seinem Zeigefinger unsere Route auf dem Satellitenfoto nachzeichnet. Hinter Checker Auto Parts und dem Hidy Ho Drive-In hört die geteerte Straße auf, und wir biegen in einen Schotterweg ein. Er ist so ausgefahren, dass sich zwischen den Fahrspuren ein unangenehm hoher Berg von Steinen aufgetürmt hat, der alle paar Meter an unserer Ölwanne kratzt. Krack! Unser Unterboden hobelt den ersten Brocken ab. Wir schauen uns kurz an und lachen etwas unsicher. Die Angst davor, auf so einer Piste liegen zu bleiben, steckt bei uns beiden tief, schließlich ist es verboten, mit einer Limousine auf unbefestigten Wegen zu fahren. Wer doch liegen bleibt, muss alles selbst zahlen, Abschleppen, Wagenreparatur und so weiter. Und auf der letzten Tour haben uns die Vermietgangster schon 250 Dollar abgeknöpft, nur weil ein kleiner Riss in der Frontscheibe war. Die Angst fährt also mal wieder mit. Gottlob ist die Sache schnell ausgestanden. Nach nicht einmal fünf Minuten haben wir unser Ziel erreicht - ein Schild im Nirgendwo, das davor warnt, weiterzufahren oder herumzustreunen, wie so oft. Man kann nicht einmal ein vernünftiges Foto machen, weil zwei riesige Agaven den Blick versperren; mit viel Fantasie meine ich in der Ferne ein paar verrostete Müllcontainer zu erkennen, aber vielleicht auch nur deshalb, weil Nick mir den Haufen vorher auf dem Sat-Foto gezeigt hat. »Das war's wohl«, fasst Nick das Offensichtliche zusammen. Was immer hinter dem Zaun liegt - wir werden es nie erfahren. Schlummern unter der Erde wirklich Berge von feinster Vintage- Ware, perfekt konserviert vom trockenen Wüstenklima? Oder haben die Bulldozer schon vor einem Vierteljahrhundert alle Platinen zu Splittern zermalmt? Was soll's, die Schildhörigkeit verbietet jede weitere Aktion. Also bleibt uns nur, ein paar Erinnerungsfotos von den zwei Agaven zu knipsen, dann geht die Fahrt ziemlich still weiter. Eine von Nicks wirklich coolen Eigenschaften ist, dass er sich von solchen Sachen nicht unterkriegen lässt. Schon nach fünf Meilen fängt er an, seine Vertuschungstheorien von vorne zu spinnen, wie eine Platte mit Sprung. »Ich wette, diese Müllcontainer waren bis oben hin voll mit Cartridges«, sagt er. Das sei ja mal wieder eine »geile Aktion« gewesen. Und überhaupt: Dass ausgerechnet in der Nähe von Roswell ganze Lkw-Ladungen des Spiels E. T. vergraben seien, könne ja auch kein Zufall sein, da sei er sich jetzt sicherer denn je. Ausnahmsweise fehlt mir heute die Energie, um ihn auf den geistigen Spielplatz zu begleiten. Oder vielleicht sieht er das gar nicht so, und er glaubt echt an diese Spinnereien? Ich schaue zur Seite: Nick grinst und hält sich Dr.-Evil-mäßig den Zeigerfinger in den Mundwinkel: »Vielleicht haben die ja gleich noch einen Polybius -Automaten hinterhergeschmissen und verscharrt? « Ich verstehe kein Wort. »Diese Dinger aus der DDR? « Nick rollt mit den Augen. »Nein, die hießen Polyplay . Kennst du die Geschichte nicht? Also: 1981 soll in einer Bar namens Blue Diamond in Portland/Oregon ein geheimnisvolles Videospiel aufgetaucht sein. « Unglaublich, wie kann er sich all diese Einzelheiten immer merken? »Schon wenige Stunden, nachdem das Gerät aufgestellt worden war, ereigneten sich angeblich seltsame Dinge: Kids, die an dem Automaten mit dem Namen Polybius gespielt hatten, verloren ihr Gedächtnis, wussten nicht mehr, wie sie heißen und so weiter. Nachts sollen sie Albträume gehabt haben. Nach ein paar Wochen tauchten dann Männer in schwarzen Anzügen ...« Ich versuche, Nick abzuwürgen. »Oh bitte, nicht der Men-in- Black-Quatsch ...« Doch meine Ungläubigkeit feuert ihn erst richtig an. Nick lehnt sich halb über die Mittelkonsole rüber, damit ich auch ja jedes Wort gut verstehe: »Spielt doch keine Rolle, ob die Anzüge schwarz waren. Die Herren sind da jedenfalls rein und haben aus dem Automaten irgendein Modul ausgebaut - ohne auch nur eine einzige Münze rauszunehmen! Stell dir das mal vor! Warum haben sie die Kiste denn aufgestellt, wenn ihnen das eingeworfene Geld egal war? Einen Monat später jedenfalls verschwand der Polybius -Automat dann wieder so plötzlich, wie er aufgetaucht war. « Das
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