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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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wie uns die Tränen in den Augen standen. All das bedeutet natürlich nicht, dass wir seitdem UFO-Skeptiker sind. »Die Parallelen sind schon ziemlich verblüffend«, murmelt Nick - heute Beifahrer - in seine linke Hand, während er mit der Rechten durch das Netz navigiert. Draußen ist es mittlerweile stockdunkel geworden, und das von unten hochstrahlende Grün des Monitors gibt seinem Gesicht etwas Diabolisches, was ich ihm natürlich keinesfalls sagen kann, weil ihn das nur ermutigen würde, noch bizarreres Zeug zu reden. Seine Theorie du jour , dass Alamogordo nicht weniger als das digitale Roswell ist, reicht schon. »In Roswell ist E.T. abgestürzt, und in Alamogordo ist E.T. vergraben, nur zwei Autostunden entfernt - das kann doch kein Zufall sein«, erklärt Nick völlig ernst. Dann fängt er an, in seiner typisch peniblen Art die Geschichte von der, wie er meint, berühmtesten Müllkippe der Welt zu erzählen: »22. September 1983- Es ist ein ruhiger Freitagnachmittag in Alamogordo, als die ersten Lastwagen in die Hauptstraße einbiegen ...« Da die Meilen nicht gerade fliegen und ich kein weiteres Mal »Black Magic Woman« ertragen könnte, drehe ich das Radio leiser, schraube den Sitz ein wenig zurück und lasse mich widerstandslos von meinem Beifahrer berieseln. Also, die Geschichte geht so: Im Rathaus von Alamogordo, New Mexiko, findet gerade eine Gemeindeversammlung statt, als ein ganz besonderer Transport durch das Städtchen zuckelt. Zunächst sind es nur acht schwere, neunachsige Gespanne, die quer durch die Innenstadt Richtung Süden rumpeln - später wird der Bürgermeister in einem Interview aussagen, nichts vom Donnern der Trucks gehört zu haben. Nach dieser Vorhut folgen mindestens noch einmal so viele Lastwagen, manche Augenzeugen behaupten sogar, es seien insgesamt zwanzig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand in Alamogordo, dass dieser Nacht-und- Nebel- Transport ihr Örtchen berühmt machen würde. Denn die Ladung der Lkw ist hoch brisant: Kisten über Kisten voller Videospiel-Module. Die ROM-Cartridges stammen von niemand anderem als Atari, dem damaligen Giganten der Gamebranche, der zu diesem Zeitpunkt mit seiner Heimkonsole Video Computer System den Markt noch völlig beherrscht. Der Konzern karrt die Spiele aus seinem Lagerhaus im texanischen EI Paso nach Alamogordo, um sie hier heimlich vergraben zu lassen. Es sind Tausende von Modulen, vor allem die Titel Raiders of the Lost Ark, Pac-Man - und E.T. , das Spiel zum gleichnamigen Film, das bis heute als das schlechteste Game aller Zeiten gilt. In der Wüste New Mexicos sollen die angeblich defekten Plastikkästchen ihre letzte Ruhe finden, in aller Stille, unbemerkt von Rest der Welt, so lautet der geheime Plan von Atari. Damit möglichst schnell Gras über die Sache wächst, wird ein örtliches Entsorgungsunternehmen damit beauftragt, die Kartons auf der Müllkippe nicht nur abzuladen, sondern gleich in einem eigens ausgehobenen Graben zu verscharren und mit Beton zu bedecken. Und zunächst sieht alles danach aus, als ob der Plan aufginge: Die Trucks rollen heran, eine Ladung nach der anderen verschwindet unter der Erde. Unbemerkt von Rest der Welt entsteht so in der Nacht von 22.auf den 23.September 1983 in der Wüste der südöstlichen Vereinigten Staaten von Amerika ein gigantisches Mausoleum der 8-Bit-Ära. Wie konnte es so weit kommen? Wahrscheinlich war das Begräbnis einfach unvermeidlich, der überfällige Exorzismus einer von Videospielen besessenen Welt. Von dem Moment an, in dem Atari Anfang der Siebziger den ersten legendären Pong- Automaten aufgestellt hatte, walzte das neue Medium alles nieder, bis die Begeisterung für Bits und Bytes zehn Jahre später ein Ausmaß erreichte, den erst der Internethype später toppen sollte. 1981 bis 1984, das war das Goldene Zeitalter der Videospiele: Innerhalb von wenigen Jahren erschienen fast alle Klassiker des Genres in den Spielhallen: Asteroids, Centipede, Pac-Man , Defender, Donkey Kong - Spiele, deren Ideen - da sind Nick und ich uns einig - bis heute unübertroffen sind. Besonders heftig brach das Videospielfieber im Amerika aus: Hier hatte jeder Pizza Hut, jedes Holiday Inn und jeder Ferienclub einen Videospielraum eröffnet, mit bordeauxrotem Teppich und wahnsinnig hippen Schwarzlicht-Lampen. Wallstreet-Mogule drängten sich neben Vorstadtkids in den Arcaden, während eine Band namens Buckner & Garcia mit ihrem Song »Pac-Man Fever« die US-Charts eroberte; ihre

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