Extraleben
Nachfolgesingle »Do the Donkey Kong« dagegen floppte. In Japan drohten sogar 100-Yen-Münzen knapp zu werden, weil die Jugend fast den gesamten Hartgeldbestand in Space Invaders -Automaten geworfen hatte. »Weißte noch, der erste Galaxian im Hit?«, unterbricht Nick seine Vorlesung für einen kleinen Nostalgiesnack. Natürlich weiß ich noch: Zunächst sah es so aus, als würde diese Revolution an unserer rheinischen Trabantenstadt vorbeigehen. Man hatte von der Videospielwelle gehört; zu sehen war sie bei uns in der Provinz noch nicht. Bis eines Tages im Sommer 1983 auf dem Schulhof die Nachricht einschlug: »Ey, im Hit gibt's nen Zockautomaten! « Der Hit, das war ein seelenloser SB-Markt, um den sich damals unser Alltag drehte. Fast jeden Tag nach der Schule fuhren wir da hin, zwei quälend lange Kilometer mit unseren Skateboards, unter die wir Keith-Haring-Männchen gemalt hatten - nur um dann vor dem Haupteingang abzuhängen. Doch in diesen Sommerferien sollte alles anders sein: In diesen Ferien spielte sich das Leben trotz wahnsinniger Hitze nicht im Freibad oder vor dem Hit, sondern drinnen ab, denn der Betreiber der markteigenen Imbissbude hatte einen Galaxian - Automaten aufgestellt. Galaxian , der extrem coole Space Invaders - Klon aus der Spielhalle, in die wir damals ja alle noch nicht reinkamen. In diesem Moment durfte man sich nicht von Nebensächlichkeiten wie einem Rekordsammer ablenken lassen! Und so stand jeder, der nicht mit seinen Eltern in den Urlaub fahren musste, den ganzen Tag lang im Frittenmief und starrte auf die verschmierte Glasscheibe des Automaten. Es war pure Magie - die Farben, das funkelnde Sternenfeld im Hintergrund, die kreischenden Angriffsformationen der Aliens. Hier die Highscore- Liste anzuführen hatte schnell alle anderen Statussymbole abgehängt. Mark für Mark verschwand im Einwurfschacht, und wer als Nächster ran wollte, legte seine Münzen auf den Rand der Glasscheibe neben den Joystick. So waren wir nach wenigen Tagen bankrott. Über diesen Umweg findet Nick wieder zu seiner Geschichte zurück. »Wenn du weiter zocken wolltest, musstest du ja ein Atari VCS kaufen! « Mit unserem Taschengeld schossen wir die ehemalige Hippiekommune Atari, in der selbst der Chef angeblich mit Black Sabbath -T-Shirt zur Arbeit erschien, innerhalb weniger Jahre in die Liga der Milliardenkonzerne. Es regnete Geld im kalifornischen Sunnyvale, dem Hauptquartier der Firma, bis die Manager übermütig wurden und zu hoch pokerten: Im Überschwang ließen sie vom Modul Pac-Man zum Beispiel 12 Millionen Exemplare herstellen - obwohl es nur 10 Millionen Konsolen gab; das Spiel würde schon neue Käufer anziehen, so der Gedanke. Als Nächstes kauften sie für Millionen von Dollar die Rechte an E. T., dem achso süßen Außerirdischen, ein - gaben ihrem armen Programmierer aber nur fünf Wochen, um daraus ein Spiel zu zaubern. Heraus kam eine hirnverbrannte Jump-and-run-Orgie, bei der E.T. die meiste Zeit in irgendwelche Löcher fiel. Was den Giganten aber wirklich ins Wanken brachte, waren Kids wie wir, die nach dem zwanzigsten Sidescroller, der x-ten Pac-Man - Kopie und zahllosen Möchtegern - Marios die Lust an der lahmen Konsole verloren hatten. Die Musik spielte längst woanders, bei den starken Heimcomputern wie dem Commodore 64; Blockgrafik à la VCS wollte sich einfach niemand mehr antun. Deshalb musste sich der ehemalige King der Kinderzimmer selbst zu Grabe tragen. Nur wo? Wahrscheinlich dachten die Atari-Manager, ihre Geheimnisse seien in der Wüste sicher aufgehoben. Doch damit lagen sie verdammt falsch: Die Teenager von Alamogordo bekamen sofort Wind von der Verscharr-Aktion und rückten noch in der Nacht aus, um sich ihren Teil des vom Himmel gefallenen Manna zu krallen. Und so dauerte es nur wenige Stunden, bis die ersten Kisten mit Spielkassetten auf dem Schwarzmarkt auftauchten. Ein paar Glückspilze mussten nicht einmal zur Müllkippe pilgern, sondern nur kurz vor die Tür gehen, denn in einigen engen Kurven waren die Kartons buchstäblich vom Laster gefallen und auf dem Bordstein gelandet. Kurzum: Es war das Paradies, wie ein verfrühtes Weihnachten im Spätsommer. Überflüssig zu erwähnen, dass Atari gelogen hatte und die Cartridges bis auf wenige Ausnahmen sehr wohl funktionierten. Ein Tag nach dem ersten Geheimtransport bekam die Presse Wind von der Sache, und die »Alamogordo Daily News« verkündeten auf der Titelseite ihrer Sonntagsausgabe herrlich unreißerisch:
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