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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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»Müllkippe wird verwendet.« Hurra, wir sind wieder wer - die Welt bringt uns ihren Elektroschrott! Jetzt weiß die Menschheit, wo E.T. hinfliegt, wenn er endlich nach Hause darf. Im Rathaus atmete man kollektiv auf. Für eine Stadt, die sich bislang nur damit rühmen konnte, Schauplatz der ersten Atomexplosion auf der Erde gewesen zu sein, war das nämlich schon eine gute Nachricht. Endlich dachten die Leute nicht mehr an das nahe White-Sands-Atomtestgelände, wenn sie den Namen Alamogordo hörten, sondern an eine Müllkippe. Endlich ein positives Image - schließlich verklappte Atari ja nicht irgendwelchen Müll, sondern Computerschrott, und das klang zumindest ein bisschen nach Zukunft. Also genoss das Städtchen seine bescheidene Berühmtheit, so gut es ging, und freute sich, sogar der »New York Times« eine kleine Meldung wert gewesen zu sein. Der Ruhm hielt natürlich nicht lange vor. Schneller, als die Betondecke auf der Müllkippe trocknen konnte, wuchs Gras über die Sache, und der Ruf von Alamogordo als Grab der Videospielindustrie verhallte. Die Geschichte verschwand schnell aus den Medien und wurde zu dem Stoff, aus dem Thekengespräche zwischen in die Jahre gekommenen 8-Bittern sind. Zwischen Leuten wie Nick und mir also. In den Neunzigern meldeten sich zwar Zweifler, die behaupteten, das Ganze sei erstunken und erlogen, doch die seien mittlerweile widerlegt worden, versichert mir Nick. Der ehemalige Bürgermeister habe im Interview mit einem Retrogame-Experten alles bestätigt. »Der Atari Landfill existiert«, schließt er, mit ein wenig gespielter Erleichterung. Und selbst wenn nicht, würde es keinen Unterschied machen, denn das ist ja das Schöne an unseren Forschungsreisen. Wir fahren nicht durch die Welt, sondern durch unsere Vorstellung.
     
    LEVEL 09
     
    In den letzten paar Tagen haben wir herausgefunden, dass sechs Uhr die schlechteste Zeit ist, um an einer Tankstelle in Amerika einen Kaffee zu kaufen. Dann ist nämlich die Frühschicht gerade noch nicht da, und die Halbwüchsigen von der nächtlichen Friedhofs-Schicht haben keine Lust, eine neue Kanne aufzusetzen, weil sie ja eh gleich gehen. Das heißt, man kriegt das Zeug, was seit dem Vorabend auf der Warmhalteplatte steht, ein bitterer Kaffeesirup, zu dem unsere Omas wohl noch Negerschweiß gesagt hätten. Doch wer wollte schon die Koffeinkameradschaft untergraben? Also runter damit. Heute Morgen, ohne Frühstück im Magen, fließt das Zeug besonders zäh. In dem Dorf, wo wir übernachtet haben, war zu der Opa-Uhrzeit, zu der wir aufgestanden sind, nämlich das einzige Café auf der Hauptstraße noch zu. Also Frühstück an der Tanke kaufen. Jetzt rollen die Räder wieder, und mein Beifahrer isst genüsslich einen Chocolate Cake Dip -Donut, der laut dem Aufkleber auf der Packung ein Viertel des täglichen Fettbedarfs deckt. Ich kaue auf einem harten Trail Bar -Fitnessriegel herum und verfluche das Gesetz, das die Lebensmittelhersteller zwingt, Nährwertangaben auf ihre Produkte zu drucken. Unterdessen tauchen um uns herum die ersten Ausläufer von Alamogordo auf: Wassertürme, Autowerkstätten, Matratzengroßhändler. Die Gegend ist nicht halb so wüst, wie wir dachten, eher ein bisschen bergig wie in Kalifornien. Trotzdem verspricht es ein heißer Tag zu werden, denn schon jetzt, um kurz vor sieben morgens, schaltet die Klimaanlage im Wagen von Heizen auf Kühlen um. Klick, der typische Kühlmittelmief - Typ: Hallenbad am Morgen - kriecht aus der Lüftung. Nick versucht, ein wenig Spannung in unsere anstehende Exkursion zu bringen. »Letztens hat da jemand gegraben und wurde erwischt. Er musste angeblich 25 Dollar Strafe zahlen, und die Cops haben ihm die Schaufel abgeknöpft.« Aha, ist ja interessant. Statt höflich nachzuhaken, tue ich so, als müsse ich mich aufs Fahren konzentrieren, was natürlich nicht nötig ist, da der kleine Staatshighway völlig verödet in der Morgensonne gart. Nick legt ungerührt nach: »Dann hat er's am nächsten Tag noch mal versucht - und musste wieder blechen. Seitdem hat angeblich keiner mehr die Grabruhe gestört.« Nachdem auch sein zweiter Versuch, eine Konversation zu starten, ins Leere läuft, gibt er auf und fummelt wieder am Radio rum. Wir sitzen nebeneinander und starren nach vorne. Es ist völlig klar, warum das Cheerleading nicht wirkt: Wir wissen beide viel zu gut, dass uns am Ende der Straße nicht die sagenumwobene Atari-Müllkippe erwartet, sondern einer dieser Anti-Höhepunkte, die

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