F (German Edition)
Mühe lohnte sich: Frei von Schuld ging man durchs Leben, schwerelos wie ein Neugeborenes, und brauchte kein Strafgericht zu fürchten.
Er sah auf. Weiß flimmerten die Flocken vor dem Himmelsgrau. Gestern Abend hatte es zu schneien angefangen, und er hatte auf seinem durchgelegenen Sofa vor lauter Stille nicht schlafen können. Die ganze Nacht lang hatte er sich Schreibtisch, Visitenkarten, Telefonanlage, Computer und Firmenauto vorgestellt – all die Dinge, die er bald wieder haben würde.
Erst zwei Monate war es her, dass er Lothar Remling auf der Straße getroffen hatte. Schulterboxen, großes Hallo, Fußballgespräch: Unglaublich, hatte Eric aufs Geratewohl gerufen, das Spiel, neulich! Remling hatte geantwortet, man fasse es ja nicht, wie die Idioten das versemmelt hätten, und dann hatte er erzählt, dass für remling.Consult goldene Zeiten angebrochen seien, die Regierungen hätten so viel Geld ins System gepumpt, dass man gar nicht wisse, wohin damit, wer hätte das gedacht noch vor einem Jahr! Dann hatte er gefragt, wie es bei Eric so gehe und stehe, und der hatte schon antworten wollen, dass er viele Projekte habe und bis zur Erschöpfung arbeite, aber plötzlich hatte er zu seiner eigenen Überraschung gesagt, er tue nichts.
Nichts?
Gar nichts. Überhaupt nichts, den ganzen Tag. Er habe sich zurückgezogen und lebe im Pfarrhaus. Bei seinem Bruder, dem Priester.
Ja der Wahnsinn, hatte Remling gesagt. Jetzt echt?
Er habe eingesehen, dass das so nicht weitergehen könne, hatte Eric gesagt. Man müsse auch einmal eine Auszeit nehmen. Nachdenken. Er lese in der Bhagavad Gita. Er meditiere. Er gehe zur Beichte. Er verbringe Zeit mit seiner Tochter. Er verwalte die Kunstsammlung seines verstorbenen Bruders. Bestimmt werde er zurückkehren, aber das habe keine Eile. Man verliere so leicht das Wesentliche aus den Augen.
Das Wesentliche, hatte Remling gesagt. Ja, ganz genau, darum gehe es.
Dann hatte er nach Erics Nummer gefragt, und Eric hatte geantwortet, er habe kein Telefon mehr, man könne ihn aber im Pfarrhaus erreichen.
Tatsächlich hatte Remling drei Tage später angerufen, und sie hatten sich zum Essen getroffen, und zwei Tage danach hatten sie sich wieder getroffen und in der Woche darauf noch einmal, und schon war alles unter Dach und Fach gewesen. Er brauche keinen Vertragsanwalt, hatte Eric gesagt, sein Schicksal liege ohnehin in der Hand Gottes, und Remling hatte gerufen, das alles sei ja unerhört.
Eric hatte keine Zweifel, dass er bei remling.Consult schnell aufsteigen würde. Er verfügte über Erfahrung, er kannte alle Tricks, er hatte eine der großen Vermögensberatungsfirmen des Landes aufgebaut. Dass sie Schiffbruch erlitten hatte, war nicht seine Schuld gewesen, niemand hatte die Krise vorausgesehen, keiner hatte wissen können, was auf sie zukam, das hatten ihm all seine Mitarbeiter bestätigt. Zweimal in der Woche traf er sich mit Maria Gudschmid und Felsner zum Tee, und dann sagten sie es einander reihum: Man habe es nicht voraussehen können! Deshalb hatten die Anleger auch ihre Verluste akzeptiert, deshalb hatte Klüssens Sohn auf eine Klage verzichtet. Nur sein ehemaliger Chauffeur hatte einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben, aber die Anschuldigungen darin waren so aberwitzig, dass man darauf verzichtet hatte, Ermittlungen aufzunehmen. Der Verkauf der fast hundert Gemälde und an die tausend Skizzen, die sich teils in Eulenböcks Atelier und teils in Iwans Wohnung befunden hatten, war zusammen mit dem Abdruck von Eulenböcks Bauernhäusern auf Stiften, Kinderkreiseln, Pyjamas und Tassen so einträglich gewesen, dass er davon die Zinsen der Überbrückungskredite zahlen konnte. Schade nur, dass so viele Bilder verschollen waren: Von drei Dutzend Gemälden, in Iwans Verzeichnissen genau beschrieben, fehlte jede Spur – keiner hatte sie gesehen, keiner wusste etwas über sie, es war, als hätten sie nie existiert. Jetzt war der Boom leider vorbei, Eulenböcks Preise fielen, und die Lizenzerlöse gingen zurück, aber das Schlimmste war überstanden. Er würde nicht ins Gefängnis kommen, Gott hatte das geregelt. Außerdem waren seine Sinne geschärft, und er dachte schneller als je – es war hilfreich gewesen, dass er sein Budget für Medikamente hatte einschränken müssen: Er nahm nur noch das Unvermeidliche, das, was man unbedingt brauchte, um aufrecht durch den Tag zu kommen.
Das hatte er auch Sibylle gesagt. Vier Jahre hatte er sie nicht gesehen, sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher