Fächertraum
Streifenpolizist hervor. Mit blassgrünem Gesicht drängte er an Lindt vorbei nach draußen und übergab sich ekelhaft laut neben einer Kletter-rose, die die schmutzige Backsteinwand des Hinterhofs berankte.
Bewegungsunfähig blieben die beiden altgedienten Kommissare auf der Türschwelle stehen. Rot und Weiß – der Lagerraum schien damit gefüllt zu sein. Rote Spritzer und weiße Federn, dazwischen eine Gestalt, verkrümmt, halb auf dem Rücken liegend. Die Arme von sich gestreckt, lag der Mann in einem Berg von plastikverpackten Schlafkissen und folierten Daunendecken.
»Mann!«, entfuhr es Jan Sternberg, als er an seinen Kollegen vorbei einen Blick ins Innere des Raumes werfen konnte. Ein Luftzug wirbelte Federn auf, die sich langsam und gnädig dorthin senkten, wo eigentlich das Gesicht des Mannes hätte sein müssen.
»Wer war außer Ihnen schon drin?« Lindt blickte streng. »Da muss erst die Spurensicherung rein.«
Der Uniformierte wischte mit einem Papiertaschentuch die Reste seines Erbrochenen vom Mund. »Vorne im Laden. Mein Kollege ist bei ihr.«
Sirenen kamen schnell näher und verstummten.
»Dürfen wir?«, wollte sich ein südländisch aussehender Notarzt in den Raum drängen, doch der Kommissar hielt den Mediziner und die drei Sanitäter zurück.
»Nichts mehr für Sie.«
Wie angewurzelt blieb auch der Arzt stehen und starrte auf den rot-weiß gefederten Klumpen Brei, der einmal ein menschlicher Kopf gewesen war.
Eindeutig, die zerfetzten Kissen-Reste in den Händen des Toten. »Hat er sich noch schützend vorgehalten, aber der Schuss ging durch«, keuchte der Streifenpolizist. »Keine Chance bei Schrot.«
Bedächtig nickte Lindt: »Wahrscheinlich haben Sie recht.« Dann wandte er sich an den Notarzt und deutete zum Vorderhaus: »Eine Frau hat ihn gefunden. Ob Sie mal nach ihr …?«
»Wir kümmern uns.« Wellmann und Sternberg folgten dem Rettungsteam und betraten die Geschäftsräume des Bettenmarkts ›Traumland‹ durch die Hoftür.
Die Frau lag bewegungslos auf einem der Ausstellungsbetten und starrte mit leerem Blick zur Decke.
»Was ist geschehen?«, versuchte der Notarzt sie anzusprechen.
Ein Sanitäter schlang die Manschette des Blutdruckmessgerätes um ihren schlaffen Arm. »Kreislauf in Ordnung«, meldete er.
»Können Sie uns verstehen?«
Die Frau antwortete durch ein kaum wahrnehmbares Nicken. »Der Knall«, flüsterte sie. »Der Knall und dann das Motorrad.«
Jan Sternberg trat zum Bett: »Was für ein …?«, doch der Arzt machte eine abwehrende Handbewegung.
»Noch nicht, Sie müssen warten, bitte.«
Sternberg drehte schnell das Schild an der Ladentür auf ›Geschlossen‹ und zog seinen uniformierten Kollegen am Ärmel nach draußen in den Hof.
»Was wisst Ihr denn schon?«
»Eigentlich«, stotterte der, »eigentlich … ich hab mich nur um die Frau … und die anderen haben abgesperrt.« Er atmete tief durch: »Ihr wart zu schnell, einfach zu schnell.«
Ein kleines Grinsen huschte über Jans Gesicht. »Wenn wir nicht noch einen Umweg gebraucht hätten, um unseren Chef aufzugabeln, dann wären wir wohl vor euch da gewesen.«
»Ich hab ihn gesehen, als wir unter der Brücke durch sind. Den erkennt man ja von Weitem.«
Sternbergs Grinsen wurde breiter und der Polizist puterrot, als er den massigen Schatten hinter sich wahrnahm.
»Ich bins gewohnt«, meinte Lindt trocken und legte ihm seine breite Hand väterlich auf die Schulter. »Aber anstatt Witze über meine Figur zu reißen, solltet ihr euch lieber nützlich machen.« Er deutete hoch zu den Fenstern, die zum Innenhof zeigten. »Alle befragen, die dort wohnen. Wer hat was gesehen oder gehört? Den Schuss natürlich.«
»Oder ein Motorrad«, unterbrach ihn Sternberg. »Das war alles, was ich bis jetzt aus der Frau rauskriegen konnte.«
»Ich geh mal rein zu ihr. Sag du es der Spusi wegen der Reifenabdrücke.« Lindt blickte suchend umher. »Eigentlich müssten auf dem feuchten Boden doch erstklassige Spuren zu finden sein.«
»Wartet mal.« Paul Wellmanns lange Gestalt tauchte im Hintergrund auf. »Es gibt einen Durchgang.« Er wies auf einen efeubewachsenen Torbogen schräg hinter sich. »Zum nächsten Hof und von dort auf die Schillerstraße.«
»Könnte da ein Motorrad …?«, setzte Jan an.
»Fahrräder stehen dort drüben, auch ein gelber Roller.«
»Nein, fahren meine ich. Ob ein Motorrad von hier aus durchkommen könnte.«
»Ach so, ja, knapp vielleicht. Aber nur ein geübter Fahrer, ein schmaler,
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