Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
1. KAPITEL
Gabriela blies die fast herabgebrannte Kerze aus. Bald würde es wieder hell werden. Er war wieder einmal nicht gekommen. Müde blickte sie auf das kalte Mahl. Ein Brot war frisch gebacken und ein Huhn geschlachtet. Sie strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn und ließ sich leise seufzend auf der grob gezimmerten Bank neben dem Tisch nieder. Wieder hatte sie eine Nacht vergebens auf ihn gewartet. Dabei war der Weg von der kleinen Grenzstadt Orschowa bis zu ihrem Gehöft nicht weit. Kaum mehr als zwei Meilen …
Sie sah zu der Bettstatt hinüber, oben auf dem großen, gemauerten Ofen. Es war lange her, seit sie dort zum letzten Mal beieinandergelegen hatten. Sie hatte frisches Leinen aufgezogen für diese Nacht. Wehmütig erinnerte sie sich, wie alles angefangen hatte. Immer hatte Janosch ein Kompliment für sie auf den Lippen gehabt. Matt lächelnd dachte sie daran, wie ihr Mann die Farbe ihrer Augen einst mit dem dunklen Grün eines Bergsees an einem Novembermorgen verglichen hatte. Am Tag der Hochzeit schien seine poetische Ader versiegt zu sein. Nur selten fand Janosch von dort an noch ein gutes Wort für sie und heute Morgen … Sie ballte die Hände zu Fäusten. Eine hagere, störrische Ziege hatte er sie genannt.
Gabriela blickte auf ihren flachen Bauch. Wenn sie nur ein Kind von ihm empfangen könnte! Vielleicht würde dann alles wieder gut. Seine Gleichgültigkeit und die Einsamkeit hier draußen könnte sie nicht mehr lange ertragen. Wenn wenigstens ihr Vater noch leben würde … Mit einem Kind würde alles besser werden! Einen Sohn … Vor zwei Sommern erst, im Jahr des Herren 1753, hatte die Kaiserin, Maria Theresia, ihr dreizehntes Kind geboren. Warum sollte ihr, Gabriela, der Frau des Oberstzollmeisters Janosch Plarenzi, dann nicht das Glück vergönnt sein, wenigstens ein einziges Mal zu empfangen?
Im Stall neben dem niedrigen Haus schnaubte unruhig das Pferd. Sollte er doch noch kommen? Die junge Frau lauschte nach Schritten auf dem Lehmweg, den die Julisonne so hart wie Stein gebrannt hatte. Eine halbe Stunde brauchte man darauf bis zur Stadt. Irgendwo draußen im Zwielicht erklang das ausgelassene Lachen einer Frau. Vielleicht ein Zigeunerweib, das sich auf den Feldern mit einem Bauerssohn vergnügte.
Müde begann Gabriela den Tisch abzutragen. Das Brot schlug sie in Leinen ein und legte es in einen Topf, damit es nicht zu schnell hart wurde. Anschließend goss sie sich einen Becher Wein ein und prostete stumm dem leeren Platz auf der anderen Seite des Tisches zu. Es war wohl ein Fehler gewesen, Janosch zu heiraten, dachte die junge Frau bitter. Durch den Einfluss ihres Vaters war ihr Mann zum obersten Zollbeamten in Orschowa aufgestiegen. Seit ihr Vater tot war, fand Janosch kaum noch durch ihre Tür. Immer häufiger blieb er über Nacht in der kleinen Stadt.
Wieder ertönte das Frauenlachen in der Dämmerung. Diesmal viel näher. Auf dem Lehmweg waren Schritte zu hören, die sich dem Haus näherten.
Gabriela blickte zu dem Kasten aus poliertem Nussholz, in dem sie die Pistolen ihres Vaters verwahrte. Das Haus lag nur wenige Meilen von der Grenze entfernt, und manchmal kamen Räuber über den großen Fluss, um eines der einsamen Gehöfte zu überfallen. Doch Plünderer würden nicht so viel Lärm machen und wären beritten gewesen. Auch hatte der Hund nicht angeschlagen. Ob es doch Janosch war?
Wie zur Antwort polterte es vor der Tür, und eine ihr nur zu vertraute Stimme lallte etwas Unverständliches. Er war also wieder einmal betrunken! Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht, dann flog die Tür auf und der helle Schein einer Laterne fiel in die Stube.
»Finster wie in der Hölle ist’s hier«, brummte Janoschs tiefe Stimme, und mit einem Tritt beförderte er einen Schemel zur Seite. Hinter ihm erschien eine zweite Gestalt im Türrahmen. Eine Frau!
Fassungslos starrte Gabriela den Schatten an. Sie war wie gelähmt. Plünderern wäre sie mit zwei geladenen Pistolen in der Hand entgegengetreten, doch das hier … Das helle Licht der Laterne fiel auf ihr Gesicht.
»Schau nur, des Teufels Großmutter ist auch hier!« Das Weib lachte prustend. »Ist das Gerippe da deine Magd?«
Janosch hielt sich an der Tischkante fest und blickte zu ihr hinüber. Gerade hatte er eine Kerze am Licht der Blendlaterne entzündet. Sein Gesicht war rot vom Wein. Der Dreispitz saß ihm schief auf dem Kopf, und die gepuderte Perücke, die er im Dienst trug, lugte aus einer
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