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Fächertraum

Fächertraum

Titel: Fächertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
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meldete sich ab – ›bin unterwegs‹ – holte sein altes Damenrad aus dem Keller und trat kräftig in die Pedale.
    Am Stadtgarten entlang nahm er die Beiertheimer Allee und dann die Bahnhofstraße, kaufte im Hauptbahnhof ein neues Döschen Presstabak und eine Butterbrezel, unterquerte die Schienen und erreichte nach einer Viertelstunde im Bummeltempo den Friedhof des Stadtteils Rüppurr.
    Der Kommissar kettete sein Rad an eine Straßenlaterne, zündete die Pfeife wieder an, kaute rauchend ab und zu ein Stück Butterbrezel und begann, zwischen den Gräberreihen umherzugehen.
    Unschlüssig, ziellos – was wollte er eigentlich hier? Was suchte er? Wie von selbst hatte ihn sein altes Rad hergetragen. Der Traum? Die Erinnerung? Er fühlte sich irgendwie fremdgesteuert.
    Immer wieder machte er halt und schaute sich um. Die großen alten Bäume standen seit den ersten Nachtfrösten nackt und kahl. Eine Stimmung fast wie damals, nur nicht so kalt.
    Kurz nach halb neun, und immer noch schien es nicht ganz hell zu sein. Der seit Tagen gleich düstere bleigraue Hochnebel drückte. Er drückte auch auf Lindt, der seine Hände tiefer in die Jackentaschen schob, den Kragen hochschlug und mit gesenktem Blick weiterwanderte.
    Vor einer dunklen Grabplatte blieb er stehen. ›Unvergessen‹, der Name einer jungen Frau. Er musste nicht nachdenken. Ehemann im Vollrausch, die abgesplitterte Bierflasche hatte ihre Halsschlagader aufgerissen. Verurteilt wegen Totschlags. Zwei Jahre sitzt er noch. Die Kinder? Lindt ging weiter.
    Außer ihm war kein Mensch zu sehen. Zwei Gräber nebeneinander. Zweimal Suizid, beide Männer damals um die 60. Der eine ging mit dem Strick auf den Dachboden, der andere folgte seinem Beispiel zwei Straßen weiter und 14 Tage später. Er nahm den Firstbalken des Holzschuppens. Krank? Der Kommissar zog seinen Kopf noch ein Stück weiter ein und spürte, dass es nun genug war.
    Entschlossen machte er kehrt, hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Einmal sah er doch nach oben. Der Ort aus seinem Traum? Vorne eine schmale Gestalt im schwarzen Mantel. Lindt konnte sich nicht rühren. Weiße Haare, wehende Haare! Er riss die Augen auf. Nein, nur ein langes helles Kopftuch. Wo war bloß der Ausgang?
    Verfolgt mich die Vergangenheit jetzt auch schon am Tage?
    Die Gräber trugen noch die Kränze, Schalen und Gestecke von Allerheiligen. Hier und da ein ewiges Licht.
    ›Wenn auf den Gräbern aller Ermordeten ein Lichtlein stünde‹, hatte er neulich gelesen, ›dann wären die Friedhöfe hell erleuchtet!‹
    Der Leitende Oberstaatsanwalt war bei der letzten großen Besprechung anderer Meinung gewesen: ›Immer dieses populistische Gerede von der hohen Dunkelziffer‹, hatte er gemäkelt. ›Fangen Sie bloß nicht damit an, jede alte Oma wegen ein paar blauer Flecken gleich in die Rechtsmedizin zu schicken. Dafür haben wir nun wirklich kein Geld.‹
    Die internationale Statistik sprach dagegen, und Lindt wusste es: In Ländern mit mehr Obduktionen werden nachweislich mehr Verbrechen aufgedeckt. Hätte er es dem hoch dotierten Juristen entgegenhalten sollen? Konfrontation? Gegen das System? Wenig sinnvoll – er kannte bessere Wege zum Ziel. Außerdem träumte er ja von Fällen, die er bearbeitet hatte, und nicht von unentdeckten Verbrechensopfern.
    »Tag, Herr Lindt.« Der Kommissar schreckte aus seinen Gedanken hoch und erkannte eine frühere Nachbarin – ein paar Jahre in der Oststadt im selben Haus. »Der Anton liegt gleich dort hinten.«
    »Ist das schon zwei Jahre her?« Damals, kurz vor Weihnachten, hatte er bei der morgendlichen Zeitungslektüre den Namen seines ehemaligen Nachbarn entdeckt. Das Schreiben von Trauerkarten war Carlas Sache. »Kommen Sie zurecht?«
    »Ich muss, Herr Lindt, ich muss. Wir waren ja kaum umgezogen, als es passierte. Beim Nachtessen, das Herz, einfach so.«
    Der Kommissar drückte der Frau die Hand. Eiskalt, erschrak er. Der leichte Anflug eines feinen fiesen Grinsens in ihrem Mundwinkel? Einbildung! Oder?
    Früher war es bei denen in der Wohnung oft laut geworden, und die Frau kam manchmal tagelang nicht raus. Lindt traute sich nicht, noch mal in ihr Gesicht zu sehen.
    Schnell ging er weiter. Jetzt war er wirklich bedient mit Begegnungen auf dem Friedhof. Ein Frösteln durchzog ihn. Komisch, vorhin war ihm noch nicht kalt gewesen. Nicht mal an den Händen am Lenker hatte es ihn gefroren, aber jetzt …
    Er kettete sein Rad los und schwang sich auf den Sattel. Ein Blick zurück zur

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