Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
immer bei dreiunddreißig Grad.
Yazid hieß genauso wie der französische Nationalspieler Mansouri Yazid oder wie Moulay Yazid, ein blutrünstiger Despot, der, so Yazid, missliebige Untertanen an ihre eigenen Türen habe nageln lassen und der ein verschwendungssüchtiger, größenwahnsinniger Herrscher gewesen sei, der überhaupt nichts Sinnvolles getan, sondern sich jeden Tag eine neue Brutalität ausgedacht habe, man sei sehr froh gewesen, als er endlich umgebracht wurde. Yazid war ganz anders, und die Taxifahrer mochten ihn gern.
Gegenüber, an der blauen Afriquia-Tankstelle, sprühte ein schwitzender Mann die Stoßstange seines Renault 5 Alpine mit schwarzer Farbe ein. Unverständlich, warum er das tat, der Wagen war völlig im Eimer, die schwarze Farbe machte nichts besser. Solche Autos wurdenAnfang der achtziger Jahre in Europa von gutverdienenden Grafikerinnen, Grundschullehrern und wohlhabenden Müttern gefahren – wer wusste, wie der Wagen hierherkam und was die Fahrerinnen von damals jetzt gerade machten?
Der erste Kunde war Hamid. Er kaufte den Fahrersitz und das Lenkrad, beides war an seinem alten 240er Diesel kaputt. Er war Taxifahrer wie die meisten von Yazids Kunden; die Taxis von Marrakesch waren wie Patchworkdecken aus Hunderten verendeter, zerlegter Mercedes-Wracks zusammengesetzt, aus zehn Autos wurde eins, das immer weiterfuhr und irgendwann in einem anderen aufging – so starben sie nie aus; und wie die meisten Taxis in Marrakesch kam auch Hamids Auto ursprünglich aus Deutschland; unter dem Nummernschild standen noch der Name und die Telefonnummer des deutschen Händlers – »Auto-Biber Adelsheim 06291–1323«. Hamid hatte den Wagen 1999 für sechzigtausend Dirham in Agadir gekauft, jetzt war er etwas mehr als eine Million Kilometer gelaufen und fuhr immer noch, nur der Fahrersitz war zerrissen und das Lenkrad gesplittert.
Hamid war nicht immer Taxifahrer gewesen; er hatte einen Handel für Zitrusfrüchte gehabt, den Mercedes und einen Lastwagen, mit dem er zweimal pro Woche nach Agadir fuhr, oft zweitausendfünfhundert Kilometer in sieben Tagen; er fuhr nach Dar-el-Beida und nach Rabat und Fes, er fuhr bis nach Meknes und bis nach Oujda an die algerische Grenze, um Geschäfte zu machen. Er lieferte Wassermelonen und Plastikbehälter quer durchs Land. Schon sein Großvater war Kaufmann gewesen; er hatte in den vierziger Jahren mit Kamelen im Süden von Marrakesch gehandelt. Mit dem Lastwagen fuhr Hamid bis nach Bamako, in Mali – aber dann bekam sein Vater Asthma. Er war nicht versichert, und Hamid begann, Schulden zu machen, um die Arztrechnungen zu bezahlen. Als sein Vater mit zweiundneunzig Jahren starb, war Hamid pleite. Er musste die Firma verkaufen und mit seiner Familie umziehen, die Medina war zu teuer; seit die Engländer dort alles aufkauften, hatten sich die Preise verfünffacht. Jetzt wohnte Hamid in einem halbfertigen Rohbau, seine Frau kümmerte sich um die Kinderund half bei den Nachbarn im Laden aus. Früher hatte sie jeden Abend Tajine und Couscous gemacht, heute reichte die Zeit nur für ein paar Fertigpizzen, die er vom Carrefour mitbrachte. Seine Tochter arbeitete an der Atlantikküste in einer Fabrik, die den Holländern gehörte, sie brachten ihre Nordseekrabben dorthin, weil das Pulen per Hand in Marokko billiger war als das maschinelle in Holland. Von seinem Unternehmen blieb nur der Mercedes übrig.
Den Motorblock kaufte ein Amerikaner. Er war mit seinem alten 350 SE auf der Straße nach Essaouira liegengeblieben und hatte den Wagen in Yazids Werkstatt schleppen lassen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, einen Motor von Mercedes zu töten, dann ist es Ölmangel, ein paar Liter alle tausend Kilometer brauchen sie, aber der Amerikaner wusste das nicht; er hatte den weißen Wagen von irgendwo mitgebracht, fuhr ihn mit weißen Hosen in weiße Villenauffahrten und hatte im Leben nicht darüber nachgedacht, wie unten im Bauch seines Autos alles pumpte und schmierte und, glänzend schwarz, zähflüssig und hocherhitzt, die Explosionen begleitete, die ihn vorantrugen.
Als die Lieferung aus Deutschland gekommen war, hatte Yazid ihn angerufen, und der Amerikaner hatte ihm das Geld für den neuen Motor gebracht und war dann mit dem Taxi in die Palmeraie gefahren; er hatte dort ein Apartment, das er sich mit einem kroatischen Geschäftsmann teilte. Der Palmenhain am Stadtrand war angeblich entstanden, weil almohadische Soldaten bei der Belagerung von Marrakesch
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