Faith (German Edition)
hatte der Schulrat in seiner E-Mail gefunden.
Vor ihrem inneren Auge erschien der Nachmittag bei Robert. Sie sah den langen Biertisch in der Nähe des kleinen Teiches, bedeckt mit weißen Tüchern, die im sanften Wind wehten. Darüber die leise raschelnden Birkenblätter, die mit ihrem hellen Grün alles in ein sanftes Licht tauchten.
Tanzende Sonnenflecken.
Sie hörte das Brummen und Sirren der Insekten, die, angelockt von süßen Düften, um den Tisch schwebten und taumelten.
Sie sah die Glaskrüge gefüllt mit köstlichen Fruchtsäften. Schalen voller Obst, verschiedene Käse- und Brotsorten erwarteten die Gäste. Zuckerkuchen glänzte gelb und buttrig in der Sonne.
Niemals, wirklich niemals, hatte sie so köstlichen Apfelstrudel gegessen. Zimt und Zucker zerliefen im Mund zu einem süßen See, der, zusammen mit den säuerlichen Äpfeln und der dicken Sahne, einen geradezu überirdischen Geschmack hinterließ.
Aber strahlender als die Sonne und lockender als die Köstlichkeiten auf dem Tisch erschien ihr Magalie.
Um ehrlich zu sein, hatte Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky immer ein wenig an Roberts Schilderungen gezweifelt. Wenn er oder später auch Ben von Magalie sprachen, dachte sie manchmal, dass es typisch für einen Mann sei, sich so von einer Frau beeindrucken zu lassen.
Aber nun, nachdem sie selbst diese bezaubernde Frau kennengelernt hatte, konnte auch sie sich ihrem Zauber nicht entziehen.
Die Ähnlichkeit Magalies mit ihrer Tochter war nicht zu übersehen. Magalie hatte Faith viel von dem mitgegeben, das sie selbst im Übermaß besaß. Nicht nur ihre wirklich feenhafte Schönheit, auch eine Ausstrahlung, die entzückte.
Robert wirkte so glücklich, wenn er die Mutter seiner Tochter ansah, trotz der Sorgen, die er sich zweifellos um Faith und nicht zuletzt um sich selbst machen musste.
Das alles war nun einige Tage her.
Die Direktorin machte sich Gedanken um Robert, der mit Magalie zurück in die Anderswelt gegangen war.
Sie führte gerade eine Tasse Tee zum Munde, als es klopfte. Sie verschluckte sich, hustete und krächzte gleichzeitig: „Herein!“
Der Hausmeister öffnete die Tür ein kleines Stück und streckte seinen Kopf durch den Spalt.
„Ein Herr möchte Sie sprechen.“
„Und hat der Herr auch einen Namen?“
Die Tür öffnete sich weit und schlug gegen die Wand, als Dr. Mötting strahlend auf sie zueilte. „War gerade in der Nähe, dachte, ich seh mal rein, liebe, verehrte Kollegin.“
Er küsste ihr galant die Hand und der Direktorin blieb nichts anderes übrig, als ihm Tee und einen Sessel anzubieten.
Der Zornige zog leise die Tür zu und sich zurück.
Er sah nicht mehr, wie sich der Schulrat über den köstlichen frischen Apfelkuchen hermachte, den er zuvor mit einem ordentlichen Klacks Sahne bedeckte.
Als Dr. Mötting sich eine Stunde später verabschiedete, schwärmte er von ihrem Apfelkuchen. Er hatte sein ursprüngliches Anliegen völlig vergessen.
Ein Dieb bleibt ein Dieb
Oskar blickte noch immer zwischen den schwankenden Gräsern, die höher waren als der kleine Elf selbst, zu Lilly hinüber. Er sah die Sehnsucht in ihrem zum Himmel gewandten Blick und auch die Trauer. Sie hatte akzeptiert, was augenscheinlich unabwendbar war. Hexen handelten nach ihren eigenen Gesetzen.
Lilly würde sich Elsabes Gebot fügen.
Die Alraunen würden sie wieder in die Erde ziehen. Aber auch Oskar kannte nur ein Gebot, das Gesetz der Glitter, das sagte: „Nimm dir, was du haben willst!“
Das Gesicht des Glitters leuchtete auf, sein besorgter Ausdruck wich einem frechen übermütigen Grinsen. Sein Entschluss stand fest.
In dem Moment, in dem der Schatten des Mondes begann, langsam über das Feld der Mandragora zu kriechen, legte sich ein kaum wahrnehmbarer grüner Hauch um die kleine Hexe.
Freiheit, Glück, Leben.
Lilly spürte den Wind, genoss die Kühle der Nacht.
Silbernes Mondlicht.
Sie fühlte sich gehalten von etwas Unsichtbarem, das sie umfing und trug. Sie hörte das leise Kichern im Ohr, den sanften Atem, der in ihren Nacken blies. Sie roch den angenehmen Duft von frischen Moos und süßem Heu.
„Ich fliege“, dachte sie. „Aber diesmal fliege ich nicht selbst.“
Oskar brauchte nicht einmal eine Sekunde für den Weg in die dunkle Welt. Es war der einzige Ort, so glaubte er, an dem die Hexen sie nicht suchen würden. Gleichzeitig war es auch der einzige Ort, an den Lilly niemals zurückkehren wollte. Oskar setzte seine „Beute“ vorsichtig
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