Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
- wer sie dann
erledigte, war oft vom Zufall abhängig gewesen. Ich bat meine Frau, kurz
stehenzubleiben, ging hin und steckte meine Hand blind in den entstandenen
Hohlraum - und ich fand tatsächlich einen mit Peprls verwackelter Schrift
geschriebenen, fünfunddreißig Jahre alten Zettel, ohne Zweifel ihren letzten.
Sie hatte nur zwei bescheidene Wünsche gehabt:
    FÜR MORGEN BRAUCHE ICH FRISCHE MILCH UND DREI BRÖTCHEN DANKE IHR LIEBEN
     
    Nachtrag
     
    tele-skopka
des jüngsten tages
    Skopka
geht es mit seinem verlängerten Penis - seinem TELE-SKOP - blendend, und er ist
überglücklich, sich als ein viel zu akkurater Bürgermeister vom heimtückischen
Rathausleben verabschiedet zu haben. Er ist Manager und inzwischen auch
Mitinhaber einer mittelständischen Hightech-Firma in Südböhmen und nachträglich
- auf der ideologischen Ebene - auch innerlich mit dem ersten
tschechoslowakischen Kosmonauten Vladimir Remek versöhnt, der im Jahr 1978 -
also ein Jahr nach der Charta 77 und zehn
Jahre nach dem Einmarsch - als der erste zu belohnende Nicht-Russe ins All
mitfliegen durfte. Skopkas Firmenkompagnon ist ein tüftlerisch hochbegabter
Schwabe, der viel Geld und einige frühere Ideen in dieses
Joint-Venture-Unternehmen eingebracht hat und inzwischen am liebsten nur Oden
auf die geschickten tschechischen Hände schreiben möchte. Der Exporthit der
beiden Partner sind Teleskop-Arme für Forschungssatelliten. Sie beliefern
mehrere Weltraumprogramme.
    - Neulich
habe ich aus Versehen deine alte Nummer gewählt - und dein Vater war dran.
    - Und? fragte
Skopka.
    - Ich habe
gesagt, daß ich mich verwählt hätte und eigentlich mit dir sprechen wollte. Und
er meinte, du würdest inzwischen nur noch in Flugzeugen sitzen und sowieso nie
erreichbar sein.
    - Er ist
neidisch.Einige Minuten später waren wir schon bei einem ganz anderen Thema.
Als vor beinah vier Milliarden Jahren die ersten Bakterien angefangen hätten,
sich des Lebens zu erfreuen, erzählte Skopka voller Begeisterung, hätte es auf
der Erde noch keinen Sauerstoff gegeben. Die Atmosphäre sei absolut ungenießbar
gewesen.
    -
Interessiert dich das?
    - Ja, ja,
grob weiß ich darüber aber Bescheid.
    - Warte,
es ist noch viel aufregender, als du denkst. Etwas später, erzählte Skopka
weiter, also irgendwann im Laufe der nächsten Milliarde Jahre hätten die
Cyanobakterien zwar die Photosynthese erfunden, mit dem Atmen und dem Genießen
des Alltags sei es trotzdem nicht aufwärtsgegangen, jedenfalls nicht gleich.
    In der
Zeit, als Skopka und ich in unterschiedliche Gymnasien gingen, liefen wir bei
unseren gelegentlichen intensiven Unterhaltungen manchmal so lange in eine
Richtung, daß wir, ohne es zu merken, das ganze Stadtzentrum durchquerten und
in einem der entgegengesetzten Vororte landeten. Einmal im oberen Teil von
Vinohrady bei den Friedhöfen, ein anderes Mal in Pankräc - eine ganze Weile
nachdem wir über die neue Brücke das Nusle-Tal überquert hatten. Danach liefen
wir die sechs bis acht Kilometer wieder zurück. Diesmal redeten wir am Telefon,
und das Gespräch, in dem es um unsere Väter und um die ruhmreiche Geschichte
der Cyanobakterien ging - außerdem um die Gefährlichkeit, genaugenommen
Giftigkeit von Sauerstoff und um weitere evolutionsrelevante Dinge -, zog sich
in die Länge.
    - Die
ganze Erde, also ihr gesamtes Oberflächen-Eisen, rostete Dutzende Jahrmillionen
einfach vor sich hin, amüsierte sich Skopka. Appetitliche Wesen wie du und ich
hätten niemals genug zum Atmen abbekommen.
    -
Vielleicht hätten wir gelernt, Eisenoxydkekse zu verwerten.- Kann sein, die
Bakterien konnten das aber nicht. Viele Arten gingen an Sauerstoffvergiftung
einfach zugrunde. Einige haben sich zum Glück aber verkrochen, sich auf die
Lauer gelegt, und manche davon - also diese Viecher von damals, stell dir das
vor - LEBEN HEUTE IN UNSEREM DICKDARM!
    Skopka saß
gerade in einem Tokioter Hotel und wollte sich auf keinen Fall langweilen.
Nachdem wir mehrere lebbare Fortsetzungsszenarien der Erdgeschichte
durchgespielt hatten, einigten wir uns auf eine Abschlußerklärung: Es hat noch
furchtbar lange gedauert, bis man hier auf Erden gefahrlos husten und schimpfen
konnte, sich Penisse verlängern lassen und sich über eine Satellitenverbindung
etwas erzählen konnte.

Weitere Kostenlose Bücher