Falaysia Bd 2 - Trachonien
Kind im Haushalt der Mutter gewesen, einem Haushalt, der nie lange an einem Ort geblieben war, immer nur ein paar wenige Jahre…
„Ist… ist das Mum?“ riss Benjamins belegte Stimme sie plötzlich aus ihren Gedanken. Sie sah ihn überrascht an. Er hielt ein Foto hoch, an dem die Zeit so gearbeitet hatte, dass es mehr als nur rotstichig war. Es waren drei kleine Mädchen zu sehen, die sich, gekleidet in hübsche Sommerkleidchen, lachend in den Armen hielten, in der Mitte Anna, Benjamins Mutter.
„Ja“, gab sie leise zurück und auch in ihr stieg viel zu rasch Wehmut empor. „Das war ein paar Jahre bevor Mum deine Mutter und Jessie wegbrachte…“
Benjamin sah das Bild wieder an. Melina spürte, wie sehr er sich abmühte, die Beherrschung zu behalten. Wie gern hätte sie ihn in die Arme genommen und ihn getröstet. Doch sie wusste, dass das Band, das über die letzten Tage zwischen ihnen entstanden war, noch nicht stark genug war, um die Kluft zwischen ihnen zu überwinden, dafür zu sorgen, dass er sich ihr öffnete. Alles war noch zu frisch und zu neu, das Vertrauen noch nicht groß genug – er würde sie nur wegstoßen und vielleicht sogar davonlaufen. Also blieb sie sitzen, wo sie war und sah ihn nur an, gab ihm damit zu verstehen, dass sie ein Ohr für ihn hatte und er ihr jede Frage stellen konnte, die ihm auf der Seele lastete.
„Warum hat sie das getan?“ fragte er schließlich leise. „Warum hat sie ihre anderen Töchter weggeben und nur dich bei sich behalten?“
Melina blieb nichts anderes übrig, als die Schultern zu zucken. „Sie sagte, dass es besser für uns sei, wenn wir alle andere Nachnamen trügen und vor anderen behaupteten, wir seien nur enge Freunde und nicht miteinander verwandt. Warum sie ausgerechnet mich bei sich behielt, weiß ich nicht.“
Benjamin biss sich auf die Lippen und druckste ein wenig herum, bis er sich dazu durchringen konnte, die nächste Frage zu stellen. „Hatte meine Mutter dieselben… speziellen Fähigkeiten, die du hast?“
Melina nickte.
„Und Tante Jessie auch?“
Wieder konnte sie nur nicken.
„Dann kann das wohl nicht der Grund sein, warum du bei ihr bleiben durftest.“
„Nein, ich denke nicht.“ Sie seufzte tief. „Vielleicht lag es nur daran, dass ich die Jüngste von uns dreien war.“
„Und vor was genau wollte sie euch schützen? Ich meine, wurdet ihr verfolgt? Hattet ihr Ärger mit… der Mafia oder so? Das klingt alles so nach selbst konstruiertem Zeugenschutzprogram.“
Melina konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Nein, ich… So genau kann ich dir das nicht beantworten. Wir hatten nie Schwierigkeiten, wurden nie angegriffen und ich kann mich auch nicht daran erinnern, verfolgt worden zu sein. Deine Großmutter schrieb dieses ‚Glück‘ ihrer eigene ‚Schutzstrategie‘ zu, aber wir konnten das alles nicht nachvollziehen oder verstehen und als man dann Verfolgungswahn bei ihr diagnostizierte, haben wir das alles sehr schnell geglaubt. Und dennoch haben wir nie wieder diesen engen Kontakt zueinander hergestellt, den wir als Kinder hatten. Keiner von uns hat jemals wieder seinen richtigen Namen angenommen – so als wüssten wir, dass die Wahrheit zwischen all diesen Halbwahrheiten verborgen liegt und irgendwo tatsächlich eine Gefahr auf uns lauert und nur darauf wartet, dass wir einen Fehler begehen.“
„Hatte diese ‚Gefahr‘ bei deiner Mutter auch einen Namen?“
Melina überlegte einen Augenblick. „Sie sprach des Öfteren von den Garong und den Talerons – Begriffe, die ich bisher in keiner mir bekannten Sprache finden konnte. Mittlerweile denke ich, dass sie ebenfalls aus dieser fremden Sprache stammen, die sie uns immer beibringen wollte.“
„Und wer genau sind diese Leute?“ hakte Benjamin sofort nach.
„Ich weiß es nicht“, gab sie etwas zerknirscht zu. „Ich hab nie einen von ihnen getroffen. Meine Mutter sagte immerzu: Solange du nur die Garong in deiner Nähe hast, musst du dich nicht fürchten. Dann hast du alles richtig gemacht. Aber wenn auch nur einer der Talerons auftaucht, musst du untertauchen .“
„Und wie sollte man die erkennen?“ fragte ihr Neffe mit berechtigter Irritation in der Stimme.
„Mit magischem Spürsinn.“
Benjamin musste lachen, doch er verstummte sofort erstaunt, als sie mahnend eine Hand hob.
„Das ist kein Humbug. Wenn du gut trainiert bist und dich sehr konzentrierst, kannst du die Stimmungen anderer Menschen spüren, bevor diese zur Wirkung
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