Falkengrund Nr. 30
nächsten beiden Türen ließen sich ebenfalls nicht öffnen. Im Halbdunkel stieß Edeltraud mit der Hüfte gegen ein Tischchen. Etwas schepperte metallisch. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie genauer hin. Auf dem Tisch stand eine Schreibmaschine, dunkel und massig, mit einem steilen Tastenfeld voller schwarzer Tasten mit weißen Buchstaben. Hoch über der Tastatur prangte eine riesige Walze wie der Lauf einer Kanone. Die Spulen des Farbbands lagen frei. Ein unbeschriebenes Blatt Papier war leicht schief eingespannt. Es war ein merkwürdiger Platz für eine Schreibmaschine. Die Lichtverhältnisse waren schlecht, und es gab weit und breit keinen Stuhl, auf den man sich zum Schreiben hätte setzen können.
Die Maschine stand weit außerhalb der Mitte ganz am Rand des runden Tisches. Obwohl der leichte Ruck das Monstrum nicht verrückt haben konnte, meldete sich in Edeltraud der Ordnungssinn des Dienstmädchens, und sie versuchte die Maschine in die Mitte zu ziehen. Just in dem Augenblick, als ihre Finger das Metall berührten, begann die Maschine zu schreiben – von alleine!
Tschack, tsch-tschack … Die Tasten wurden von unsichtbaren Fingern angeschlagen, und die Hämmerchen schnappten mit lautem Klacken hervor, trafen Farbband und Papier und hinterließen fette, tintentriefende Lettern auf dem Blatt.
Edeltraud hatte nicht geschrien. Der Schreck hatte sie geschüttelt und den Schrei in ihrer Brust zerquetscht. Beim Zusammenzucken ließ sie das Messer fallen. Es fiel auf ihren Schuh, ohne sie zu verletzen. Ehe sie auf das Blatt sah, bückte sie sich zuerst nach dem Messer, dann drehte sie sich zweimal blitzschnell im Kreis und blickte sich um.
„Hallo?“, krächzte sie leise.
Niemand. Sie war alleine.
Der Apparat schrieb bis zum Ende der Zeile, dann blieb er stehen. Edeltraud, die automatisch zwei Schritte von dem Tisch und der verwunschenen Schreibmaschine zurückgewichen war, tat sich schwer, den Text zu lesen. Er war komplett in Kleinbuchstaben verfasst, und die Anschlagstärke war so enorm und das Farbband so frisch, dass die Umrisse der Lettern verschwammen. Die zahlreichen kleinen e’s waren nicht viel mehr als schwarze Flecken.
es wird dunkel in meinem Zimmer ich will dich sehen ich habe
Das Ende der Zeile.
Edeltraud konnte gar nicht anders als an Konrad Winkheim zu denken. Lag es denn nicht auf der Hand, dass dies das Werk des Illusionisten war? Anscheinend hatte er sich während der letzten zwei Jahre von seinem anspruchsvollen Vorhaben, in diesen Mauern der Erforschung wahrer Magie nachzugehen, wieder abgewandt. Er war zu seinen billigen Tricks und doppelten Böden zurückgekehrt. Doch anstatt Jungfrauen zu zersägen und Tauben verschwinden zu lassen, hatte er sich nun der modernen Technik zugewandt und werkelte vermutlich an einer neuartigen Zauberschau, die ihn berühmter und erfolgreicher machen sollte als seine früheren, offenbar wenig inspirierten Auftritte. Da ergab auf einmal auch die offene Haustür einen Sinn, ebenso die verschlossenen Türen in diesem Korridor. Das war alles Teil einer Show. Sie wurde dorthin gelenkt, wo er sie haben wollte.
Gehörte der Hilferuf, den sie erhalten hatte, ebenfalls zu Winkheims Tricks? Hatte er das Papier so präpariert, dass die eine Schrift verschwand und die andere zum Vorschein kam? War so etwas nicht schlicht unmöglich?
Sie atmete tief durch. Ein dumpfer Druck lag auf ihrem Kopf – die Nachwirkungen des Absinth?
Winkheims „Zauberei“ hatte ihre Grenzen. Auch wenn ein verborgener Mechanismus offenbar die Tasten bewegen konnte, so war er doch unfähig, die Hochstelltaste oder den Wagenrücklaufhebel zu betätigen. Die magische Schreibmaschine war wohl noch nicht ganz ausgereift …
Gespenster, fand Edeltraud, würden sich mit einer Zeile nicht zufriedengeben. Sie würden nicht mitten im Satz das Handtuch werfen, sondern einen Weg finden weiterzuschreiben, und wenn es den Apparat am Ende zerlegte.
Eine Schreibmaschine war nichts Mystisches für sie. Seit einem halben Jahr besaß ihr Hausherr eine, und natürlich hatte sie als Liebhaberin des geschriebenen Wortes es sich nicht nehmen lassen, die eine oder andere Zeile darauf zu tippen. Sie wusste also, wie man so etwas bediente. Mit einem zaghaften Grinsen auf den Lippen legte sie den Finger auf den Hebel links von der Walze und schob den Wagen bis zum Anschlag zurück, wo er die Walze automatisch eine Zeile weiterrückte.
Sie fuhr zurück, als das Gerät erneut zu schreiben begann!
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