Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
staubigen Kammer auf eine Kiste mit modernden Papieren und starrte in die roten, flackernden Augen des Vogels, bis die Kerze erlosch.
Am nächsten Tag begab ich mich nach Highpoint, nicht mit Kutsche und Garde, wie die Vernunft und meine Position es befahlen. Ich ritt mit Scogman, ertrug seine Sticheleien und meine steifen, schmerzenden Beine. Das Pestkreuz an meiner Tür hatte alte, längst verschüttete Instinkte in mir geweckt. Halte Ausschau nach dem Unerwarteten. Unternimm selbst niemals das, was andere von dir erwarten. Wir nahmen den Grünen Weg, die alte Straße der Viehtreiber. Zu Scogmans Erstaunen bestand ich darauf, im Freien zu übernachten. Ich suchte nicht einmal das Stonehouse Arms in Oxford auf, obgleich es mir gehörte. Es war eines von Richards Lieblingsgasthäusern gewesen, und während der Cromwell-Jahre war Oxford unbeirrt staatsfeindlich und royalistisch geblieben.
Scogmans Kondition war nicht besser als meine. Wir holten uns beide eine Erkältung und fluchten und brummten uns an wie verschrobene alte Männer, doch als wir eines Morgens aus dem großen Wald ins Freie traten, jubilierten unsere Sinne.
Unter uns lagen die Parks, die Springbrunnen und Highpoint selbst, dessen Anblick uns verstummen ließ. Es hatte Jahre gedauert, das Anwesen zu renovieren. Der schimmernde Portikus am Eingang wurde von einem kauernden Falken bewacht.
Es gab so viele Dinge, die ich tun müsste. Ich sollte in der Queen Street sein, Zusammenkünften beiwohnen, Ränke schmieden, Notfallpläne erstellen. Warum war ich hier, um dieses obskure Versprechen zu erfüllen, das ich nur mir selbst gegeben hatte, vor so vielen Jahren?
Ich wies Scogman an, Lady Stonehouse zu sagen, wohin ich ginge, wobei mir auffiel, dass ich sie inzwischen nur noch Lady Stonehouse nannte. Mir kam der Gedanke, und ich lächelte, dass sie das stets für mich gewesen war, seit wir Kinder waren.
Während Scogman zum Haus hinunterritt, durchquerte ich den Fluss und nahm die Straße über den Hügel nach Shadwell. Die Landschaft war so trostlos wie eh und je, die Böden nur als Weideland für Schafe geeignet, deren Glocken leise schellten, wenn sie ihre Köpfe hoben, um mich anzustarren.
Die Kirche von Shadwell sah aus wie früher. Es hätte gestern gewesen sein können, dass ich hier war, um meinen Vater ausfindig zu machen. Ich hatte geglaubt, meine Mutter hätte in dieser Kirche Lord Stonehouse’ zweiten Sohn Edward geheiratet, der später hier Priester wurde. Edward hatte es geleugnet und die verborgene Stelle, an der sie begraben lag, als Ort des Bösen angeprangert. Origo mali – die Quelle des Bösen.
Ich hatte geschrien: »Ich werde einen neuen Grabstein errichten lassen!«
Aber an welcher Stelle? Das war das Problem. Ich suchte die Trockenmauer an der Nordseite der Kirche ab, wo Gras und Unkraut am undurchdringlichsten wucherten. Die Steine dort trugen keine Namen, oder die Buchstaben waren von Wind und Regen fortgewaschen worden. Ich hörte Schritte hinter mir. Als sei es der Geist einer der Stonehouse, wirbelte ich herum und tastete nach meinem Messer. Herumwirbeln? Meine Bewegungen waren so unbeholfen und die Knochen so eingerostet, dass ich, wenn es sich um einen Stonehouse gehandelt hätte, jetzt tot wäre.
Ein fetter, gutgelaunter Mann sah mich blinzelnd an. Er stellte sich als Travers vor, der derzeitige Priester. Er kenne den Stein sehr gut, sagte er, da meine Mutter, Margaret Pearce, im Dorf eine Legende sei. Ich dachte, er wollte versuchen, seine bescheidenen Pfründe ein wenig aufzubessern, doch er ging sogleich zu einem Stein, der Teil einer grob gefügten Mauer geworden war. Als ich das Gras wegriss, sah ich ein verwittertes rotes Zeichen und erinnerte mich an einige längst vergessene Obszönitäten, die jemand auf den Grabstein meiner Mutter geschmiert hatte.
Travers deutete auf das Dorf und das Moor, wo die Landschaft noch wilder wurde. »Manche Leute behaupten, sie gesehen zu haben. Manche haben Angst, aber für andere ist sie ein freier Geist. Wie das Land, sagen sie. So arm es auch sein mag, es ist alles Gemeineigentum. Stonehouse Without nennen es manche.«
Da fiel es mir wieder ein. Sonderbar, was man alles vergessen kann, aber ich hatte so viele Papiere unterzeichnet, so viele Dokumente gesiegelt. Und in vielen der Dokumente war es um ebendiese Ländereien gegangen. So gut ich konnte, hatte ich, mit Scogmans Hilfe, die unbarmherzigen Enteignungen eines halben Jahrhunderts rückgängig gemacht, in dem die
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