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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie beide überhaupt nicht bemerkt.
    Tonio schwieg. Es bedrückte ihn, wie düster alles um ihn herum wirkte. Das Zimmer erschien ihm als gähnende Leere, und die Lichter vom Kanal her, die sich in den Fensterscheiben spiegelten, weckten in ihm den Wunsch, den ganzen Raum mit allen Kerzen, derer er habhaft werden konnte, zu erleuch-ten. In seinem Kopf pulsierte immer noch die Musik, Schmerz begleitete dieses Pulsieren. Als er das sanfte Lächeln auf Alessandros Gesicht sah, seine nachdenkliche, ehrfürchtige Miene, da wurde er von einer überwältigenden Zuneigung zu ihm ergriffen.
    Er wollte ihm von jenem längst vergangenen Abend erzählen, als er damals in San Marco gesungen hatte. Er wollte ihm er-zählen, daß er das nie vergessen hatte. Aber es war ihm nicht möglich, in Worte zu fassen, daß er schon als Kind den Wunsch gehabt hatte, Sänger zu werden, zu sagen, daß sich dieser Wunsch selbstverständlich nicht erfüllen ließ, ihm zu erklären, daß das Ganze nicht einer gewissen Komik entbehr-te, weil er damals nicht gewußt hatte, daß Alessandro ein...
    was war? Er hielt, peinlich berührt, in seinen Gedanken inne.
    »Wissen Sie was? Bleiben Sie doch zum Abendessen«, sagte er, während er sich erhob. »Beppo, bitte Angelo ebenfalls zu uns an den Tisch. Und sag auch gleich Lena Bescheid. Wir soupieren im großen Speisezimmer.«
    Die Tafel wurde rasch mit leinener Tischwäsche und Silber gedeckt. Tonio ließ weitere Kandelaber hereinbringen, und nachdem er sich an den Kopf der Tafel gesetzt hatte, wie er das stets tat, wenn er allein aß, war er bald tief ins Gespräch versunken.
    Alessandro lachte unbeschwert. Wenn Tonio ihn etwas fragte, antwortete er ausführlich. Er lobte den Wein. Und bald war er dabei, ein Bankett beim Dogen zu beschreiben, das kürzlich stattgefunden hatte. Die Bankette des Dogen waren aufwendi-ge Veranstaltungen, bei denen Hunderte von geladenen Gä-

    sten an der Tafel saßen. Durch die offenen Türen strömten zudem die Leute von der Piazzetta herein, um zuzusehen.
    »Nun, ein silberner Teller fehlte« - Alessandro lächelte und hob dabei seine dichten, dunklen Augenbrauen - »und stellen Sie sich vor, Exzellenz, alle Würdenträger des Staates warteten geduldig, während man das Silber wieder und wieder zähl-te. Ich konnte mir kaum das Lachen verbeißen.«
    In der Art, wie er diese Geschichte erzählte, lag jedoch keine wirkliche Respektlosigkeit, und schon begann er mit der nächsten. Er hatte eine träge Vornehmheit an sich. Im Kerzenlicht wirkte sein langes Gesicht in seiner Glattheit ein wenig unirdisch.
    Inmitten all dessen wurde Tonio plötzlich bewußt, daß Angelo und Beppo still zu seiner Rechten saßen und alles taten, was er ihnen auftrug. Tonio schlug eine zweite Flasche Wein vor, und Angelo ließ sie unverzüglich bringen.
    »Und wir hätten gerne noch ein Dessert«, sagte er zuAngelo.
    »Wenn nichts Entsprechendes im Haus ist, dann soll jemand Schokolade oder Eis holen gehen.«
    Beppo starrte ihn tatsächlich voller Bewunderung an. Angelo schien ein klein wenig eingeschüchtert.
    »Aber erzählen Sie mir doch, wie es ist, wenn Sie für einen König, zum Beispiel den König von Frankreich oder den König von Polen, singen...«
    »Es ist nicht anders, als wenn ich für irgend jemanden sonst singe, Exzellenz«, sagte Alessandro. »Man möchte stets, daß der Gesang makellos ist. Für einen selbst, man kann es nicht ertragen, einen Fehler zu machen. Deshalb singe ich niemals, wenn ich allein bin. Ich möchte nichts hören, das nicht... nun, vollkommen ist.«
    »Aber was ist mit der Oper, wollten Sie niemals auf der Bühne stehen?« wollte Tonio wissen.
    Alessandro legte bedächtig die Fingerkuppen aneinander.
    »Im Rampenlicht zu stehen, ist etwas anderes«, sagte er. »Ich frage mich, ob ich es überhaupt erklären kann. Nun, Sie haben ja die Sänger in der -«
    »Nein, das habe ich noch nicht«, sagte Tonio und spürte, wie er plötzlich rot wurde. Jetzt würde Alessandro merken, wie jung Tonio war und wie kurios die ganze Situation hier war.
    Aber Alessandro redete einfach weiter, erklärte, daß man auf der Bühne ja eine andere Person verkörperte; daß man schauspielern mußte. In der Kirche war das ganz anders, da ging es nur um die Stimme, die sich über allem erhob.
    Tonio trank noch einen Schluck Wein. Gerade, als er sagen wollte, daß er so gern einmal eine Oper sehen würde, bemerkte er, daß sich Angelo und Beppo hastig erhoben. Alessandros Blick schweifte

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