Falsetto
nichts zurück. Er spielte sanft mit Guidos Ohren, er reizte seine Brustwarzen so, daß sie gerade ein klein wenig weh taten, und küßte das Haar zwischen seinen Beinen, während er mit größter Geduld auf die gewaltvolleren Spielarten der Leidenschaft hinarbeitete.
In den darauffolgenden Nächten teilte Gino seinen neuen Ge-fährten mit Alfredo und dann mit Alonso. Manchmal lagen sie auch zu zweit oder zu dritt im Dunkeln ineinander verschlungen da. Es war nichts Ungewöhnliches, daß ihn der eine von oben, der andere von unten umarmte, und während Alfredos heftige Stöße Guido bis an die Grenze zum Schmerz brachten, trieb ihn Alonsos harter, gieriger Mund zur Ekstase.
Es kam jedoch der Tag, an dem sich Guido verlocken ließ, neben dem erlesen abgestimmten Liebesspiel der Eunuchen auch die gewaltsameren und liebloseren Stöße der »normalen« Schüler kennenzulernen. Aber er kam zu dem Schluß, daß er diese haarigen und grunzenden jungen Männer nicht besonders mochte. Sie hatten etwas Brutales und Schlichtes an sich, das sie schließlich uninteressant werden ließ.
Er wollte Eunuchen, sinnliche und köstliche Experten für den Körper.
Oder aber Frauen.
Und wie es der Zufall wollte, so war es bei den Frauen, wo er der Befriedigung am nächsten kam. Voll und ganz erreichte er sie nur deshalb nicht, weil er nicht liebte. Ansonsten war es überwältigend. Arme, einfache Mädchen von der Straße mochte er am liebsten, Mädchen, die entzückt waren, wenn sie als Lohn eine goldene Münze erhielten, Mädchen, die gro-
ßen Gefallen an seinem jungenhaften Aussehen fanden und die von seiner Kleidung und seinem Auftreten beeindruckt waren.
Und als sein Ruhm wuchs, öffneten sich für Guido überall die Türen. Wenn er bei einer Abendgesellschaft gesungen hatte, ermunterten ihn zauberhafte Damen hinterher, nach oben in ihre Privatgemächer zukommen. Er gewöhnte sich langsam an seidene Laken, an vergoldete Cherubime über ovalen Spiegeln und an wallende Baldachine.
Als er siebzehn war, hatte er eine reizende Contessa, die zweifache Witwe und sehr reich war, zur heimlichen Geliebten.
Oft wurde er von ihrer Kutsche am Bühnenausgang abgeholt.
Die Contessa war im Verhältnis zu ihm alt, sie hatte ihre besten Jahre schon hinter sich, aber sie war heißblütig und voller Verlangen. In seinen Armen errötete sie bis zu den Brustspit-zen, während sie die Augen halb geschlossen hielt. Er war hingerissen.
Es waren reiche Zeiten, glückselige Zeiten. Guido war fast schon soweit, daß er hätte nach Rom gehen und dort seine erste Hauptrolle hätte übernehmen können. Mit achtzehn war er einen Meter achtundsiebzig groß und besaß die Lungen-kraft, um ohne Instrumentalbegleitung ein riesiges Theater nur mit seiner Stimme zu füllen, so daß dem Publikum eine Gänsehaut über den Rücken lief.
Und das war das Jahr, in dem er seine Stimme für immer verlor.
8
Auf der Piazzaspazierengehen zu dürfen, das war zwar nur ein kleiner Sieg, aber Tonio befand sich die nächsten Tage in einem Rausch der Verzückung. Der Himmel schien von einem grenzenlosen Blau, den ganzen Kanal entlang flatterten die gestreiften Markisen in der warmen Brise, und in den Blumen-kästen an den Fenstern blühten üppig die Frühlingsblumen.
Selbst Angelo schien sich zu amüsieren, obwohl er in seiner dünnen Soutane gebrechlich und ein wenig unsicher wirkte. Er machte sofort darauf aufmerksam, daß ganz Europa anläßlich der kommenden Senza in die Stadt strömte. Wo sie sich auch hinwandten, hörten sie fremde Sprachen.
In den Cafés, die sich mit ihren kleinen, schäbigen Räumlichkeiten bis unter die Arkaden ausbreiteten, wimmelte es von Reichen und Armen gleichermaßen. Serviermädchen in kurzen Röcken, hellroten Westen und köstlich nackten Armen eilten zwischen den Tischen hin und her. Ein flüchtiger Blick, und Tonio fühlte, wie Leidenschaft in ihm aufwallte. Mit ihren Bändern und Locken, ihren Strümpfen, in denen ihre Fesseln dem Blick des Betrachters ausgesetzt waren, kamen sie ihm unaussprechlich reizend vor.
Jeden Tag drängte er Angelo, ein wenig länger zu bleiben, ein kleines Stück weiter spazierenzugehen.
Nichts, so schien es ihm, konnte ein ähnliches Schauspiel bieten wie die Piazza . Unter den überwölbten Gängen der Kirche sammelten Geschichtenerzähler eine kleine aufmerksame Menge um sich, da waren Patrizier in weiten Gewändern, während Damen, ohne die schwarzen vesti, die sie zu Festtagen in der Kirche
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