Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
heraufbeschworen, tönte es aus dem Dunkel der hinteren Ränge laut: » Riccarda!«
Valentin sah sich um. Ein gut aussehender Herr in mittleren Jahren trat mit einer wesentlich jüngeren Frau auf sie zu. Riccardas Gesicht wurde bei seinem Anblick aschfahl.
» Vater! Was machst du denn hier?«, fragte sie erschrocken. Valentin sah seine Schülerin überrascht an. Er hatte das Gefühl, dass sie am liebsten geflohen wäre.
» Dasselbe könnte ich dich auch fragen«, meinte Rickys Vater verstimmt. Erst auf den zweiten Blick fiel Valentin auf, dass dem Mann die linke Hand fehlte. » Wieso hast du uns nichts von diesem Konzert erzählt? Deine Mutter und ich waren nicht darüber im Bilde, dass angehende Musiklehrerinnen auch öffentliche Auftritte haben.«
» Ihre Tochter hat ein ausgesprochen ausgeprägtes Talent.« Valentin fühlte sich verpflichtet, sich einzumischen. » Gestatten. Ich bin ihr Musiklehrer. Reuter ist mein Name. Es wäre schade, wenn man der Öffentlichkeit eine solche Begabung vorenthalten würde.«
» Das mag schon sein.« Fritz musterte ihn so, als hätte er soeben die Ehre seiner Tochter beschmutzt. » Ich frage mich allerdings, weshalb uns Riccarda dann nicht darüber informiert hat. Meine Frau wäre mit Sicherheit auch gerne dabei gewesen.«
» Das glaube ich kaum«, stellte Riccarda trotzig fest. » Mutter hätte mir das Konzert doch sicherlich verboten.«
» Das hätte sie mit Sicherheit nicht. Zumindest hättest du uns die Gelegenheit geben sollen, dies selbst zu entscheiden.«
» Nun sei doch nicht so streng, Fritz«, mischte sich nun die jüngere Begleitung ein. » Du hast gerade selbst noch gesagt, dass Ricky herausragend gesungen hat. Ich konnte doch sehen, wie stolz du auf sie warst. Ich jedenfalls bin es. Ricky hat eine wunderbare Stimme!«
» Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, stimmte ihr Valentin eifrig zu. Er wollte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, für Riccarda ein gutes Wort einzulegen. Er war schließlich ein ausgebildeter Musiker und Fachmann. » Das musische Talent Ihrer Tochter geht weit über das Mittelmaß hinaus«, meinte er. » Sie ist wie ein Diamant, der noch etwas geschliffen werden muss. Sie sollten ihr unbedingt die Gelegenheit geben, sich weiter zu entfalten! Riccarda hat Besseres verdient, als in der Provinz Musiklehrerin zu werden.«
Fritz warf ihm nur einen geringschätzigen Blick zu. » Nur weil Sie ihr Musiklehrer sind, haben Sie noch lange kein Recht, über die Zukunft meiner Tochter zu befinden«, kanzelte er ihn ungehalten ab. Valentin fühlte sich, als habe er soeben eine Ohrfeige bekommen. Er hatte sich mit seiner Bemerkung eindeutig zu weit aus dem Fenster gelehnt.
» Aber Herr Reuter hat ja recht!«, wagte sich Ricky vor. Sie war aufgebracht, weil ihr Vater mit seinen harschen Bemerkungen den Erfolg dieses Abends zerstörte. » Ich möchte nicht Musiklehrerin werden. Ich möchte singen, tanzen und auf der Bühne stehen. Warum gesteht ihr mir das denn nicht zu?«
Die Miene ihres Vaters verdüsterte sich noch mehr. » Ricky, das ist nicht der Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren. Würdest du jetzt bitte deine Sachen holen und uns begleiten?«
Riccarda versuchte etwas zu erwidern, doch ihr Vater hatte sich unmissverständlich abgewandt und begab sich grußlos nach draußen.
*
Das schrille Abfahrtssignal hallte über den Bahnsteig. Schwerfällig dampfend begann sich die rußgeschwärzte Dampflokomotive der » South African Railway« in Bewegung zu setzen und zog den Zug aus dem Swakopmunder Bahnhof. Wolkig weißer Dampf hüllte die wenigen Menschen auf dem Bahnsteig ein.
Raffael hatte erst in allerletzter Minute den Zug erreicht. Er war völlig aus der Puste und musste erst einmal verschnaufen, bevor er sich nach einem geeigneten Sitzplatz umsah. Sein Bein schmerzte von der ungewohnten Anstrengung. Es hatte sich nie ganz von der unheilvollen Begegnung mit einem Elefantenbullen erholt. Deshalb humpelte er mit seinem Gepäck von Abteil zu Abteil. Zwar war in den vorderen Abteilen überall Platz, doch als Mischling hatte er sich in die drei letzten Waggons zu begeben, die für die Farbigen vorbehalten waren. Seit die Südafrikanische Union über das ehemalige Deutsch-Südwestafrika regierte, hatte sich die Rassentrennung zunehmend verschärft. Schwarze und Mischlinge waren Menschen zweiter Klasse und wurden dementsprechend auch nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft erachtet.
» Willkommen zu Hause«, murmelte er verstimmt.
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