Verlangen unter falschem Namen
PROLOG
Vicenzo Valentini stand vor dem Londoner Krankenhaus. Er sah nichts, spürte nur den Schmerz – die Trauer. Der Arzt hatte von einem tragischen Unfall gesprochen. Aber Vicenzo wusste, dass es viel mehr gewesen war. Während er an die beschönigende Formulierung dachte, ballte er die Hände zu Fäusten. Zwei Menschen waren bei dem Unfall ums Leben gekommen: seine geliebte Schwester Allegra und ihr hinterhältiger Liebhaber Cormac Brosnan. Ein Mann, der sie eiskalt berechnend verführt hatte und dabei mit einer Hand nach ihrem Vermögen griff, während er mit der anderen versuchte, Vicenzo davon abzuhalten, sich einzumischen. Wieder stieg Wut in Vicenzo hoch. Er hatte keine Ahnung von Brosnans Einfluss und seinen Betrügereien gehabt, bis es zu spät gewesen war. Jetzt wusste er alles, aber die Information war nichts mehr wert, weil sie Allegra nicht zurückbrachte.
Allerdings hatte eine Person den Unfall überlebt und letzte Nacht, nur eine Stunde nach der Aufnahme, das Krankenhaus wieder verlassen. „Ohne einen Kratzer. Unglaublich“, hatte der Arzt gesagt. „Aber die junge Frau trug auch als Einzige einen Sicherheitsgurt. Der hat ihr zweifellos das Leben gerettet. Das nenne ich Glück!“
Glück?
Die Rede war von Cara Brosnan, Cormacs Schwester, und bei dem Gedanken sah Vicenzo rot. Dem Unfallbericht nach zu urteilen, hatte Cormac hinter dem Steuer gesessen, aber deshalb war Cara Brosnan nicht weniger verantwortlich für das, was sie vorher gemeinsam geplant hatten. Vom Arzt hatte Vicenzo nämlich auch noch erfahren, dass Allegra große Mengen Drogen und Alkohol im Blut gehabt hatte. Vicenzo biss die Zähne zusammen. Wäre er bloß früher hier gewesen! Dann hätte er dafür gesorgt, dass diese Cara nirgendwohin ging, bevor er ihr nicht in die Augen gesehen und ihr klargemacht hatte, dass sie ihm dafür büßen würde.
Jetzt fuhr Vicenzos Fahrer vor, wobei der kraftvolle Motor des hochglänzenden, windschnittigen Wagens leise schnurrte. Vicenzo zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Als sie die abweisend wirkende Krankenhausfassade hinter sich ließen, unterdrückte er den drängenden Wunsch, den Fahrer zur Umkehr zu bitten. Am liebsten wäre Vicenzo noch einmal zu Allegra gegangen, um sich davon zu überzeugen, dass sie wirklich tot war.
Doch er bezwang dieses schreckliche, ganz ungewohnte Gefühl. Seine Schwester war tot! Da, hinter ihnen, in der Leichenhalle, lagen nur noch ihre sterblichen Überreste. Das war das erste Mal in all den Jahren, dass ihn etwas wirklich berührte. Seitdem er damals den Schutzwall um seine Gefühle und sein Herz errichtet hatte, war er stark und unanfechtbar geworden. Von dieser Stärke musste er jetzt zehren. Besonders wegen seines Vaters. Als dieser vom Tod der geliebten, einzigen Tochter erfahren hatte, hatte er einen Schlaganfall erlitten und lag seitdem im Krankenhaus. Immerhin war sein Zustand so stabil, dass Vicenzo diese Reise unternehmen konnte.
Als sie jetzt ins Gedränge der morgendlichen Londoner Rushhour gerieten, kehrten Vicenzos Gedanken noch einmal zu der Frau zurück, die zu dem schrecklichen Unfall beigetragen hatte. Dass sie so bald danach völlig unbeschadet aus dem Krankenhaus marschiert war, machte seine Verbitterung noch größer.
Mit versteinerter Miene sah er hinaus, wo die Leute geschäftig und völlig unbeschwert ihren Alltag aufnahmen.
Cara Brosnan war sicherlich eine von ihnen. In diesem Augenblick wusste Vicenzo, dass er sie finden musste, um ihr vor Augen zu führen, was sie und ihr Bruder mit ihrem teuflischen Plan angerichtet hatten. Sie sollte wenigstens ein wenig von dem Schmerz empfinden, den er im Augenblick fühlte.
Er musste ohnehin noch einige Zeit in London bleiben, bis alle notwendigen Papiere beisammen waren. Danach wollte er seine Schwester mit nach Hause nehmen, um sie neben ihren Vor fahren beizusetzen. Dabei war sie noch so jung gewesen …
1. KAPITEL
Sechs Tage später
„Aber Rob, ich kann heute arbeiten, und ich fahre auch erst morgen nach Dublin. Es liegt schließlich nicht am anderen Ende der Welt“, erklärte Cara. Dabei konnte sie aber weder das Zittern in der Stimme verbergen noch die Tatsache, dass sie immer noch ganz wackelig auf den Beinen war.
Ihr guter Freund Rob stellte das auch fest und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Genau, und ich bin der Kaiser von China. Setz dich jetzt auf diesen Barhocker, bevor du mir noch umkippst. Du wirst an deinem
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