Familienkonferenz in der Praxis
schuldig machen, und zwar in dem Maße, in dem man Stimmungsschwankungen unterworfen ist, es mit verschiedenen Kindern zu tun hat und sich in unterschiedlichen Umwelten bewegt. Sofern man das Prinzip akzeptiert, wird man sich viel Schuldgefühle und Angst er-sparen.
Wir alle sind Menschen, und als solche empfinden wir inkonsequente Gefühle gegenüber unseren Kindern. Wenn wir uns zu dieser Tatsache bekennen, können wir uns das Geschäft der Elternschaft um ein Beträchtliches erleichtern.
Abbildung 6
Abbildung 7
Eine weitere Erscheinungsform des Prinzips der Inkonsequenz sollte erwähnt werden. Denn noch eine andere generell hingenommene Vorstellung erschwert das Dasein von Eltern unnötig. Gemeint ist die Überzeugung, dass beide Eltern in Verhalten und Empfinden einem Kind gegenüber immer identisch vorgehen – ihm gegenüber »geschlossene Front« machen müssten. Abgesehen davon, dass dieser Grundsatz zu vielen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zwischen den Eltern führt, kann er auch die Ursache von Schuldgefühlen und Groll sein. So berichtet eine Mutter:
»Mein Mann glaubt, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, wenn man mit den Kindern verhandle. Stattdessen müsse man sie ins Bett schicken, wenn man mit ihnen unzufrieden sei … Die ›Familienkonferenz‹ hat mir die Augen geöffnet. Ich weiß nun, was mir gefehlt hat. Dies gilt insbesondere für die Vorstellung, dass Mann und Frau durchaus anderer Meinung sein können. Als ich das las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wenn ich an all die Schuldgefühle denke, die ich hatte, wenn ich mich seiner Meinung nicht anschließen konnte! … Der Gedanke, dass ich ein Recht hatte, eine andere Meinung zu haben, war zu schön … Er empfindet es immer noch als sehr bedrohlich, aber ich fühle mich jetzt sicher … Als ich zum ersten Mal eine abweichende Auffassung äußerte, war er verletzt, als widersetzte ich mich seiner Autorität, die ich ihm bislang zugebilligt hatte.«
Eine andere Mutter berichtet von den Erfahrungen, die sie bei dem Versuch machte, eine geschlossene Front mit dem Vater zu bilden:
»Man hatte uns immer gesagt, wir müssten eine geschlossene Front bilden, wissen Sie, oder unsere Kinder würden verrückt, unausgeglichen oder etwas dergleichen. Unser Kursleiter dagegen meinte, es sei absolut nicht notwendig. Unsere Kinder würden es schon verkraften, weil sie wüssten, dass zwei Menschen nicht immer und in jeder Hinsicht der gleichen Meinung sein können. Unserem Sohn Mike gegenüber hatte
ich immer versucht, die Meinung meines Mannes zu vertreten. Immer hieß es: ›Dein Vater meint dies und dein Vater meint das. Tu, was dein Vater sagt.‹ Ich fühlte mich dann aber nicht in der Lage, Mike während der häufigen Abwesenheit seines Vaters bei der Lösung seiner Probleme zu helfen, weil ich erst sichergehen musste, ob das, was ich vorhatte, auch im Sinne des Vaters war. … Ich glaubte, alles müsse erst mit ihm abgestimmt werden.«
Solche Konflikte können sehr gefährlich für die Ehebeziehungen sein. Zu ihrer Vermeidung oder Entschärfung lehrt die ›Familienkonferenz‹ deshalb die Eltern, unabhängige Beziehungen zu ihren Kindern zu suchen, statt sich zu bemühen, eine geschlossene Front ihnen gegenüber zu bilden. Jedem Elternteil steht es frei, individuell auf ein bestimmtes Verhalten des Kindes zu reagieren. Die Rechtecke sehen dann wie bei Abbildung 8 aus.
Hier sollte es die Mutter dem Vater überlassen, auf die Tischmanieren des Kindes einzuwirken. Schließlich fühlt er sich durch sie gestört. Sie sollte nicht in den Fehler verfallen, an seiner Stelle zu handeln. In diesem Falle würde sie gegen ihr Empfinden handeln – in gewissem Sinne wäre sie also unehrlich. Zum einen würde sie das sicherlich belasten (sie würde Groll empfinden oder sich unterwürfig vorkommen). Zum anderen besteht die Gefahr, dass das Kind die Unaufrichtigkeit der Mutter bemerken und die Achtung vor ihr verlieren würde. Einige der Schwierigkeiten, die mit der Ideologie der geschlossenen Front verknüpft sind, zeigen sich im folgenden Auszug aus einem Interview mit einer Mutter. Sie berichtet, wie ihr Mann und sie ihre Inkonsequenz erkannten und das Problem der Tischmanieren in ihrer Familie lösten:
Abbildung 8
M : Nach dem Kurs veränderte ich mich von Grund auf … Besonders auffällig war die Veränderung in meiner Beziehung zu den Kindern. Dies war auch der Grund dafür, dass mein Mann dann ebenfalls an einem Kurs teilnahm:
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