Familientherapie ohne Familie
allgemeinerer Natur zu erreichen (...)« 13
Die Arbeitsgruppe am MRI war stark durch die therapeutische Praxis von Milton Erickson geprägt. Erickson ist sicherlich einer der ungewöhnlichsten Therapeuten des 20. Jahrhunderts. Nicht nur entwickelte er eine überaus erfolgreiche Hypnosetechnik, er überraschte die Fachwelt auch durch eigentümliche therapeutische Techniken, die unerwartete Erfolge zeigten. Ohne selbst eine Theorie zu dieser Verfahrensweise zu liefern, wurde sein Werk zu einer besonderen Bereicherung und Herausforderung der systemischen Therapie. Allerdings reichte sein Einfluss auch auf andere Gebiete (zum Beispiel auf das neurolinguistische Programmieren). Insofern gleichen seine Schriften einem Ideensteinbruch, aus dem viele Therapieformen Material entnommen haben.
Im deutschsprachigen Raum waren die Überlegungen von Paul Watzlawick u.a. besonders in theoretischer Hinsicht ein Wendepunkt. Kaum ein Psychologiestudent oder psychotherapeutisch interessierter Medizinstudent, der nicht Menschliche Kommunikation gelesen hätte! Eine direkte Umsetzung in die therapeutische Praxis blieb jedoch selten. Kaum ein Therapeut praktizierte diese Art von Kurztherapie. Zu sehr war der Ansatz von der üblichen Denkweise entfernt.
Dies änderte sich erst, als auch weitere Ansätze der systemischen
Familientherapie bekannter wurden. Etwa von Ivan Boszormenyi-Nagy, Jay Haley, Salvador Minuchin, Lyman C. Wynne oder der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli.
In Deutschland erfuhr die Familientherapie ab etwa 1980 eine enorme Verbreitung. Der Beginn ist besonders mit Helm Stierlin 14 verbunden, der ab 1974 das Heidelberger Institut zum Zentrum der Familientherapie in der damaligen Bundesrepublik machte. Bestimmten in den Anfangsjahren vor allem einzelne Persönlichkeiten Stil und Inhalt, gibt es heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Formen der systemischen (Familien-) Therapie. Diese Varianten sollen aus Platzgründen nicht näher aufgeführt werden. Trotzdem sollen einige gemeinsame Grundauffassungen dargestellt werden. 15
Wie bereits geschildert, werden Symptome als Funktion von komplexen Systemen verstanden. Systeme können auf sehr unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden: das System einer Körperzelle, eines Körperorgans, eines Organsystems wie das Gefäßsystem, der gesamte Körper mit seinen zahlreichen Subsystemen (etwa das Thermoregulationssystem), das Individuum als Teil der Familie, die Familie als Ganzes bis hin zu größeren Organisationsformen wie Arbeitsformen, Städte oder Staaten. Üblicherweise wird in der systemischen Therapie die Familie als das relevante System verstanden. Allerdings ist das eine Einschränkung, die in manchen Fällen nicht sachgerecht ist. Es können auch andere Systeme in den Vordergrund treten: ein Paar, Mutter und Tochter oder ein Teil der Arbeitswelt. Familie wird gesehen als selbstregulierendes Verwandtschaftssystem, das zielorientiert ist und seine Homöostase (Gleichgewicht) aufrechterhält. Hierbei kann »Familie« als »existenziell bedeutsames Beziehungssystem« 16 auch jenseits nur der biologischen Familie verstanden werden. Dabei tauscht sie mit der Umwelt Materie, Energie und Informationen aus. Die Homöostase wird durch dauernde Anpassungsprozesse an eine sich wandelnde Umwelt aufrechterhalten. In manchen Situationen sind jedoch Krisen vorhersehbar (Heirat, Geburt, Pubertät, Tod), die besondere Anpassungsleistungen
und Neuorientierungen verlangen. Falls diese Anpassungen unterbleiben, entsteht ein pathologisches Verhalten. Ein System steht also in dem Spannungsverhältnis, einerseits eine bestimmte Form zu halten (Morphostase) und auf der anderen Seite diese anzupassen und zu wandeln (Morphogenese).
Der sogenannte Patient mit seinem Symptom ist nur ein Teil der Pathologie. Um eine Vorstellung von der Gesamtheit des Problems zu erhalten, muss das entsprechende Verhalten aller Familienmitglieder berücksichtigt werden. Der Patient ist (wie auch die anderen Familienmitglieder) weder Opfer noch Täter, sondern ein Teil eines Gesamtsystems, das das Verhalten bestimmt. Jedes Handeln eines Familienmitgliedes ist sowohl Ursache als auch Folge des Handelns eines anderen (Zirkularität). Das Symptom wird dabei nicht nur als Einschränkung, sondern auch als Lösung einer problematischen Situation verstanden (dieser Aspekt wird später in vielen Beispielen dargestellt).
Die Therapie richtet sich dementsprechend nicht auf die Veränderung der Persönlichkeit des
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