Fangjagd
den Weg ab. Franz machte eine Vollbremsung und kam nur eine Handbreit vor dem Opel zum Stehen. Er sprang aus seinem Wagen und trabte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Seidler holte ihn nach weniger als hundert Metern ein, bei einer der Treppen, die zu einem Keller hinunterführte. Er legte Franz die linke Hand auf die Schulter und drehte ihn zu sich um, während er hastig auf ihn einsprach.
„Hör zu, du brauchst keine Angst zu haben… Ich will nur wissen, wem du die Schachtel gegeben hast … Dann kannst du dich meinetwegen zum Teufel scheren … Du weißt doch, daß ich gesagt habe, daß dies der letzte Auftrag gewesen ist…“
Während er sprach, rammte er Franz mit aller Kraft sein Messer von unten her zwischen die Rippen. Seidler staunte, wie leicht die Klinge in den Brustkorb seines Gegenübers eindrang. Franz schnappte röchelnd nach Luft, hustete einmal und begann mit rollenden Augen zusammenzusacken. Seidler versetzte ihm einen kräftigen Stoß, der Franz – aus dessen Brust der Messergriff ragte – rückwärts die Treppe hinabtorkeln ließ. Seidler war auch verblüfft, wie leise alles ablief: Das lauteste Geräusch war der dumpfe Schlag, mit dem Oswalds Hinterkopf auf die Steinplatten am Fuß der Treppe aufprallte.
Der Erstochene blieb auf dem Rücken liegen.
Seidler sah sich um, hastete die Stufen hinunter, griff in Oswalds Anorak und zog die Brieftasche heraus, die ungewöhnlich dick war, obwohl der Umschlag mit den österreichischen Schillingen, den der Alte von ihm bekommen hatte, noch separat in der gleichen Tasche steckte. Die Brieftasche enthielt ein Bündel Schweizer Banknoten – lauter 5oo-Franken-Scheine. Seidler schätzte, daß es zwanzig waren.
Zehntausend Schweizer Franken! Das war für Franz Oswald ein Vermögen.
Das entfernte Brummen eines Automotors warnte Seidler, daß er keine Zeit mehr verlieren durfte. Er steckte rasch das Geld ein und lief die Treppe hinauf, um zu seinem Wagen zu gelangen. Als er den Motor anließ, bog eben ein anderes Auto in die kleine Seitenstraße ein. Seidler gab Gas, verschwand um die nächste Kurve und verlor diesen Wagen sofort aus dem Sinn er konzentrierte sich ganz darauf, so schnell wie möglich den Flughafen Wien-Schwechat zu erreichen.
Captain „Tommy“ Mason, der englischen Botschaft in Wien offiziell als Militärattaché zugeteilt, runzelte die Stirn, als er den fahrerlosen Renault schräg zum Randstein stehen sah.
Nachdem er sich daran vorbeimanövriert hatte, hielt er an und stellte den Motor seines Wagens ab. Wo mochte Franz Oswald stecken? War er in einem der Kellerabgänge verschwunden?
Sobald Mason seinen Wagen abgestellt hatte, fiel ihm auf, daß der Motor des Renaults noch lief. Er sprang aus seinem Ford Escort, lief die Straße zurück, um einen Blick in die Kellerabgänge zu werfen, machte kehrt, setzte sich in den Wagen und fuhr rasch davon.
Er kam gerade noch rechtzeitig, um den Opel auf eine Durchgangsstraße abbiegen zu sehen. Mason schloß rasch zu ihm auf und folgte ihm dann in angemessener Entfernung.
Schließlich hatte es keinen Zweck, den Fahrer des anderen Wagens zu beunruhigen. Nicht schon so früh am Morgen.
Mason war der Opel bereits während seines Gesprächs mit Franz Oswald aufgefallen. Bei einem Blick durch die Netzvorhänge seines im ersten Stock gelegenen Dienstzimmers der Botschaft hatte er diesen Wagen gesehen, dessen Fahrer, der zusammengesunken hinter dem Steuer hockte, eine dieser komischen französischen Baskenmützen trug. Zumindest hatten die Franzmänner sie früher viel getragen. Heutzutage waren sie eigentlich selten geworden.
Mason hatte keinen Anlaß gesehen, seinen Besucher zu beunruhigen, der zu seiner großen Überraschung tatsächlich pünktlich erschienen war. Noch überraschender – eher besorgniserregend – war der Inhalt der Schachtel gewesen. Als sein Besucher ging, hatte Mason sich überlegt, daß es nicht schaden könnte, ihn zu beschatten – schon deshalb nicht, weil der Mann mit der Baskenmütze Ähnliches vorzuhaben schien.
Man konnte nie wissen, wie solche Dinge sich entwickelten. So hatte Tweed in London es einmal ausgedrückt. Eigentlich merkwürdig, wie sich manche seiner Bemerkungen eingeprägt hatten.
Mason, 35 Jahre alt, 1,76 Meter groß, mit schläfrigem Blick, kurzgeschnittenem Schnurrbart, typischem Akzent der Oberschicht und ausgesprochener Wortkargheit, war nahezu eine lebende Karikatur seiner offiziellen Position. Kurz nach seiner Ankunft in
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