Fangjagd
seine Schreibtischlampe bereits. Draußen war es so dämmrig, daß die Autos mit Licht fuhren. Tweed fand Wileys Bericht bisher leicht enttäuschend, obwohl er keinen triftigen Grund für seine Unzufriedenheit hätte angeben können.
„Nach etwa einer Viertelstunde ist ein Lieferwagen aus dieser Sackgasse kommend auf die Hauptstraße abgebogen. Ich hätte beinahe nicht auf ihn geachtet, aber dann ist mir vorn neben dem Fahrer der Fluggast aus dem Lear Jet aufgefallen. Ich bin dem Lieferwagen in Richtung Innenstadt nachgefahren. Leider hab’ ich ihn schon vor der Stadtgrenze im Verkehr aus den Augen verloren. Komisch daran ist nur, daß ich schwören könnte, ihn später auf der Gegenfahrbahn gesehen zu haben – also auf der Fahrt
aus
der Stadt …“
„Das war’s also?“
„Augenblick! Mir ist aufgefallen, daß auf dem Lieferwagen ein Firmenname wie auf dem Lastwagen gestanden hat…“
Tweed ließ sich den Namen nennen, als Howard in sein Büro kam – wiederum ohne anzuklopfen. Sein Vorgesetzter trat hinter den Schreibtisch, um ihm über die Schulter blicken zu können – eine weitere irritierende Unart. Tweed bedankte sich bei Wiley und legte den Hörer auf.
Für Tweed stand außer Zweifel, daß Howard wie schon so oft in der Telefonzentrale gewesen war, um mitzuhören, was sich in seiner Dienststelle tat. Er wußte auch, daß Howard häufig Überstunden machte, um nach Dienst die Büros seiner Mitarbeiter durchstöbern zu können. Deshalb verschloß Tweed alle interessanten Unterlagen in seinem Tresor und ließ nur belangloses Material auf dem Schreibtisch liegen.
„Gibt’s was Neues?“ erkundigte Howard sich.
„Möglicherweise. Wahrscheinlich muß ich selbst nach Bern.
Wie Sie wissen, ist unsere Personaldecke im Augenblick sehr dünn. Keith Martel ist dienstlich unterwegs, so daß ich vermutlich selbst einspringen muß.“
„Ihnen ist jede Ausrede recht, was?“ fragte Howard trocken. Er klimperte mit Kleingeld in der Hosentasche. „Ich weiß genau, daß Bern Ihnen gefällt. Gibt’s was Neues?“ wiederholte er.
„Mason hat mir heute morgen gemeldet, er habe etwas für mich –
etwas ziemlich Erschreckendes,
wie er sich ausgedrückt hat. Ich glaube, daß es ihm in die Botschaft gebracht worden ist. Er will es innerhalb der nächsten Tage zu uns bringen – folglich muß die Sache ernst, vielleicht sogar sehr ernst sein.“
„Großer Gott, schon wieder eine Ihrer selbstgestrickten Krisen!“
„Krisen entstehen ohne mein Zutun“, stellte Tweed richtig.
„Vorhin habe ich mit Wiley gesprochen…“ Als ob du das nicht wüßtest! dachte er dabei. „Mason hat heute morgen aus Wien berichtet, er habe einen Mann – vielleicht einen Mörder – auf der Fahrt zum Flughafen Wien-Schwechat beschattet. Seiner Beobachtung nach ist dieser Mann in einen privaten Schweizer Jet eingestiegen. Ich habe drei Schweizer Flughäfen überwachen lassen, obwohl es genügend weitere Plätze gibt, auf denen ein Lear Jet hätte landen können. Wiley hat mir soeben mitgeteilt, daß die bewußte Maschine in Belp gelandet ist…“
„Belp? Wo liegt das, verdammt noch mal? Ein komischer Name!“
„Wo die gelbe Nadel in der Wandkarte steckt. Belp ist der Berner Flughafen“.
„Hab’ gar nicht gewußt, daß die einen haben.“
Tweed äußerte sich nicht dazu, aber der Blick, mit dem er den vor der Wandkarte stehenden Howard über seine Brille hinweg musterte, sprach Bände.
„Also doch ein Flughafen!“ meinte Howard zufrieden. „Mit einem Terminal! Jetzt wird die Sache allmählich interessant…“
Tweed wußte aus Erfahrung, daß man Howard am besten für sich gewinnen – oder zumindest zu wohlwollender Neutralität veranlassen – konnte, wenn man ihn in dem Glauben ließ, auch einen Gedanken beigesteuert zu haben. Er sprach gleichmäßig nüchtern weiter.
„Wiley hat beobachtet, wie ein Passagier das Flugzeug mit einem großen Pappkarton verlassen hat. Dieser Mann ist zuletzt in einem Lieferwagen gesehen worden. Wiley hat sich die Aufschrift auf den Lieferwagentüren notiert. Im Augenblick liegen mehrere unzusammenhängende Stücke vor mir, aus denen sich vielleicht später ein Mosaik zusammensetzen läßt.“
„Oder eine Krise!“ Das war offenbar scherzhaft gemeint gewesen. Howard machte auf dem Absatz kehrt und schnippte einen imaginären Fussel vom Revers seines Nadelstreifenanzugs.
„Was hat also auf den Lieferwagentüren gestanden?“
erkundigte er sich.
„Klinik Bern
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