Fangjagd
Wien hatte der Botschafter in seiner trockenen Art einen Scherz auf Kosten des Neuankömmlings gemacht.
„Wissen Sie, Mason, wenn ich jemand ein Photo eines typischen englischen Militärattachés zeigen sollte, würde ich eine Aufnahme von Ihnen machen …“
„Ja, Sir“, hatte Mason geantwortet.
Mason glaubte bereits ziemlich bald zu wissen, daß der Opel-Fahrer zum Flughafen wollte – es sei denn, daß er zur tschechischen Grenze und nach Preßburg weiterfuhr, was bedauerlich gewesen wäre. Ein Mann, der um diese Tageszeit Leichen in Kellerabgängen zurückließ, hatte es verdient, daß man sich für ihn interessierte. Eine Viertelstunde später wußte Mason, daß er richtig vermutet hatte. Merkwürdig und immer merkwürdiger. Wohin würde der Unbekannte fliehen?
Seidler fuhr schneller als erlaubt und blickte häufig auf die Armbanduhr. Franz Oswald war erst der zweite Mann, den er umgebracht hatte – und beim ersten war es außerdem ein Unfall gewesen –, und jetzt setzte die Reaktion ein. Er war wie betäubt und nur noch von dem Gedanken besessen, heil an Bord des wartenden Flugzeugs zu kommen.
Die Zollabfertigung bildete kein Hindernis. Auch hier kam es nur darauf an, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Der aufsichtführende Beamte war bereits mit einem ansehnlichen Geldbetrag bestochen worden. Wenn es um wesentliche Dinge ging, stellte sein sonst eher sparsamer Auftraggeber ohne Zögern die nötige Summe bereit. Seidler bog zum Flughafen ab, fuhr an den Abfertigungshallen vorbei, wurde an einem der Tore wie vorgesehen durchgewinkt und hielt erst auf dem Vorfeld. Josef Heilmeier, der keine Ahnung hatte, was hier gespielt wurde, stand bereit, um den Leihwagen nach Wien zurückzufahren.
Seidler stieg rasch aus, nickte Josef zu, hob den großen Karton aus dem Wagen und hastete auf den wartenden Business Jet zu.
Die Einstiegstreppe war bereits heruntergeklappt. Ein Unbekannter stand am Fuß der Treppe und fragte Seidler auf Französisch:
„Bestimmungsort der Sendung?“
„Terminal.“
5
London. 10. Februar 1984. 8° C.
Tweed, ein kleiner, rundlicher Mittfünfziger, blickte aus dem Fenster seines Büros in der SIS-Zentrale am Park Crescent, als Mason aus Wien anrief.
Durch seine Hornbrille sah er über die Crescent Gardens zum Regent’s Park hinüber. Kleine goldene Flecken auf grünem Untergrund leuchteten in wässrigem Morgenlicht.
Frühblühende Krokusse, die das Ende des Winters ankündigten. Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte.
„Ferngespräch aus Wien“, teilte ihm die Telefonistin mit.
Tweed fragte sich, wann ein Anruf aus Wien je ein Ortsgespräch gewesen war. Er bat sie, das Gespräch durchzustellen, und lehnte sich in seinen Drehsessel zurück.
Das Gespräch begann damit, daß sie sich gegenseitig identifizierten. Mason sprach hastig, was ungewöhnlich war.
„Ich hab’ etwas für Sie. Ich will nur nicht am Telefon darüber sprechen…“
„Von wo aus rufen Sie an, Mason?“ unterbrach Tweed den anderen scharf.
„Aus einer Telefonzelle in der Hauptpost. Telefongespräche von der Botschaft aus, laufen über die Vermittlung. Ich komme eben vom Flughafen Wien-Schwechat zurück. Er liegt…“
„Danke, ich weiß, wo er liegt. Kommen Sie zur Sache!“
Tweeds Stimme klang erneut uncharakteristisch scharf. Aber er spürte das Drängen in der Stimme des Anrufers. Mason war der als britischer Militärattache getarnte SIS-Mann in Wien.
Die Engländer hatten endlich von ihren sowjetischen Kollegen gelernt, die kaum jemals das waren, was sie in den Botschaften ihres Landes zu sein schienen.
„Ich hab’ etwas für Sie – etwas ziemlich Erschreckendes. Ich will’s jetzt nicht näher beschreiben, ich bringe es mit, wenn ich nach London komme. Im Augenblick geht’s darum, daß vor einer halben Stunde ein Lear Jet mit Schweizer Kennzeichen in Schwechat gestartet ist. Meiner Ansicht nach fliegt er in die Schweiz zurück …“
Tweed hörte zu, ohne Zwischenfragen zu stellen. Mason sprach jetzt wieder knapp und präzise, ohne unnütze Worte. Tweed verzichtete darauf, sich während des Gesprächs Notizen zu machen. Als Mason mit seinem Bericht zu Ende war, stellte Tweed ihm eine einzige Frage, bevor er den Hörer auflegte.
„Wie lange fliegt man von Wien in die Schweiz?“
„Sechzig bis siebzig Minuten. Falls ich richtig vermutet habe, bleiben Ihnen also weniger als vierzig Minuten.“ Mason machte eine Pause. „Übrigens hat’s auch schon einen Toten
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