Farben der Herzen
Alles, was mit unserer Mutter zu tun hatte, strengte mich körperlich an. Und ich finde, dass es sich leichter nachdenken lässt, wenn man sitzt. Jeder andere Mensch steht in solchen Momenten lieber, aber bei mir ist das Gegenteil der Fall.
“Wann warst du das letzte Mal bei ihr?”, fragte ich.
Margarets Lächeln erstarb. “Sonntagnachmittag bin ich zu ihr gefahren und war mit ihr an der frischen Luft.”
Moms Symptome erschienen mir ausgeprägter, seit die Krankenschwester mit mir darüber geredet hatte. “Und wie ging es ihr?”
Margaret dachte einen Augenblick lang über die Frage nach und zuckte dann halbherzig die Schultern. “Mit einem Wort: verwirrt. Wir sind ein bisschen spazieren gegangen, weil ich dachte, dass die frische Luft ihr guttun würde. Ich habe ihr erzählt, dass du dir ein paar neue Einrichtungen für sie ansiehst. Später schien sie zu denken, dass
ich
mir die Häuser angeschaut hätte.” Margaret zögerte. “Und als ich sie in ihr Zimmer zurückbrachte, lächelte sie mich strahlend an und sagte: ‘Schau mal, hier stehen dieselben Möbel wie bei mir.’”
Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich darüber lachen können.
“Ich habe Mom Dienstag besucht, und sie hat sich nicht daran erinnert, dass Dad tot ist”, erzählte ich meiner Schwester. Damals hatte ich die Tränen mühsam zurückdrängen müssen. Es hatte mir fast das Herz gebrochen, meiner Mutter erklären zu müssen, dass unser Vater vor vier Jahren gestorben war. Zuerst hatte sie sich geweigert, mir zu glauben. Ein paar Minuten später hatte sie dann begonnen, mich auch nach anderen Menschen zu fragen. Wie zum Beispiel nach ihrer Schwester, die ebenfalls schon lange tot war. Sie und Mom hatten ein sehr inniges Verhältnis zueinander. Dann hatte sie wissen wollen, was aus ihrer Lieblingsnachbarin geworden war. Nach einer Weile hatte Mom einfach in ihrem Sessel gesessen und an die Wand gestarrt. Ich wusste nicht, wie ich sie trösten sollte, also war ich schließlich gegangen – hilflos und sehr, sehr traurig.
“Dieser Gedächtnisverlust macht sich nicht erst seit Kurzem bemerkbar”, erklärte Margaret. “Eigentlich kann ich nicht sagen, dass ich eine dramatische Verschlechterung sehe.”
Ich runzelte die Stirn. Bevor Dad starb, war Mom geistig so fit gewesen wie jeder andere Mensch in ihrem Alter.
“Dad wusste, dass sie allmählich die Erinnerung verlor. Aber er hat dir nichts davon erzählt.”
Schockiert sah ich sie an. Doch vermutlich war es durchaus sinnvoll gewesen, dass mein Vater seine Sorgen damals meiner Schwester und nicht mir anvertraut hatte. Ich erholte mich zu der Zeit gerade von meinem zweiten Hirntumor und musste Schmerzen erleiden, die mich für immer gezeichnet hatten. Es sah meinem Vater ähnlich, dass er mir zusätzlichen Kummer ersparen wollte. Da war es nur natürlich, dass er seine Sorgen mit Margaret geteilt hatte.
“Nachdem Dad gestorben war, schien ihr allmählicher geistiger Verfall kaum wahrnehmbar”, sagte ich. “Jedenfalls für mich.” Ich lebte damals noch zu Hause. Mom hatte verloren und traurig gewirkt, doch das war mir nach dem Tod ihres Ehemannes durchaus verständlich vorgekommen.
“Dad war ihr Kopf – er hat für sie gedacht”, erklärte Margaret sachlich. “Nachdem du das Wollgeschäft eröffnet hattest, spielten Matt und ich kurze Zeit mit dem Gedanken, sie zu uns zu nehmen, um ein Auge auf sie haben zu können.”
“Habt ihr mit Mom darüber geredet?”
Margaret nickte. “Sie wollte nichts davon wissen. Trotzdem hat uns die Vorstellung, dass sie ganz allein lebte, überhaupt nicht gefallen.”
Ich wurde hellhörig. Da ich bis zur Eröffnung des Ladens mit meiner Mutter zusammengelebt hatte, war es kein Wunder gewesen, dass Margaret damals wütend auf mich war – für meine Schwester muss es so ausgesehen haben, als hätte ich mit dem Beginn meines eigenen Lebens meine Mutter einfach im Stich gelassen. Wie gern hätte ich Margaret die Situation aus meiner Sicht erklärt, damit sie meinen Wunsch nach Unabhängigkeit verstand. Aber ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte, ohne so zu klingen, als würde ich mich für mein Handeln rechtfertigen. Und ohne egoistisch zu wirken …
“Seit dem letzten Jahr geht es ihr gesundheitlich immer schlechter”, bemerkte ich, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen. “Und ihr ganzes Leben scheint irgendwie ‘auseinanderzufallen’.”
“Inzwischen hat der Arzt ihre Medikamente abgesetzt”, warf
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