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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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EINS
     
1
     
    Clarges war die letzte Metropole der Welt und zog sich über fast fünfzig Kilometer am Nordufer des Melodienstroms, nicht weit oberhalb der sich verbreiternden Mündung des Flusses, entlang.
    Clarges war eine uralte Stadt – zwei – oder gar dreitausend Jahre alte Bauwerke, Monumente, Herrenhäuser, Schenken, Molen und Lagerhallen stellten keine Ungewöhnlichkeit dar. Die Einwohner der Enklave schätzten und pflegten diese Verbindungsglieder zur Vergangenheit, denn sie spendeten ihnen unterschwelligen Trost und gaben ihnen das unbewußte Gefühl einer allegorischen Identifikation mit der Kontinuität der Stadt. Die eigenartige Variation des Freiwirtschaftssystems, in dem sie lebten, zwang sie jedoch zu Innovationen. Aus diesem Grund bildete Clarges ein sonderbares Konglomerat aus Altehrwürdigem und Neuem, und die Bürger dieser Stadt litten an widerstrebenden Empfindungen, was auf diese oder jene Weise zum Ausdruck kam.
    Niemals hatte eine andere Stadt existiert, die es mit der erhabenen Pracht und melancholischen Schönheit von Clarges aufnehmen konnte. Aus dem Manufakturzentrum wuchsen Türme wie Turmalinkristalle, hoch genug, um an den dahinschwebenden Wolken zu kratzen. Umgeben war dieser Bereich von Kaufhäusern, Theatern und Wohnblocks, dann folgten die Vororte und das Industriegebiet, woran sich kahles, unbebautes Land anschloß, das bis zum Horizont und darüber hinaus reichte. Die besten Wohngegenden – Balliasse, Eardiston, Vandoon und Tempelwolke – fanden sich in den nahe des Flusses gelegenen Hügeln im Norden und Süden der Stadt. Überall war Bewegung, bebende Vitalität, ein eigenartiger Hauch menschlicher Mühe und Anstrengungen. Eine Million Fenster glänzten im Sonnenschein, Heere von Bodenfahrzeugen wälzten sich dunklen Wogen gleich durch die Boulevards, und Schwärme aus Himmelswagen sausten über die Alleen der Luft und waren wie emsige Metallinsekten, die fleißig unsichtbare Netze spannen. Männer und Frauen eilten zielbewußt und ohne Zeit zu verschwenden durch die Straßen.
    Auf der anderen Seite des Flusses erstreckte sich die Sumpfregion, gelbbraunes Ödland, eintönig und monoton, leer und unbewohnt. Hier wuchs nichts außer verkümmerten Weiden und rostfarbener Binse. Die Daseinsberechtigung dieser Sumpfregion gründete sich nur auf die Tatsache, daß sie auch die sechshundert Morgen von Kharnevall umfaßte.
    Vor dem düsteren Hintergrund des Ödlands schimmerte Kharnevall wie eine Blume auf einem Schlackehaufen. Die sechshundert Morgen beinhalteten einen Schatz aus glänzenden Farben und funkelnder Pracht, aus spektakulären Möglichkeiten zur Zerstreuung und Nervenkitzel und Entspannung.
    In Clarges beschränkte sich das Leben auf die Aktivität der Menschen. Kharnevall besaß eine eigene Vitalität. Morgens war alles still. Gegen Mittag konnte man vielleicht das Surren von Reinigungsservos und vereinzelte Schritte vernehmen. Am Nachmittag erwachte Kharnevall zum Leben, wie ein frisch ausgeschlüpfter Schmetterling, der zitternd mit den Flügeln schlägt und sich für seinen ersten Flug bereit macht. Bei Sonnenuntergang kam es zu einer kurzen Ruhe, dann aber folgte eine so heftige Eruption von vitaler Aktivität und Erregung, als müßte alles, was während des vorangegangenen Schlafes vernachlässigt worden war, nun binnen kürzester Zeit nachgeholt werden.
    An der Peripherie pendelten die Kometengondeln von Groß-Pyroteck: die Besichtigung des Heiligen Grals , die Goldene Gloriana , die Okkulter Emeraud , die Melanchthon und die Ultra-Lazuli . Jede war von einer anderen Farbe und emittierte ein andersartiges Glühen in ihrem flammenden Schweif. Die Pavillons waren wie glimmende Prismen, die in allen Regenbogenfarben leuchteten. Aus Pagoden schien flüssiges Feuer zu tropfen. Myriaden Lichter tanzten wie Wolken von Glühwürmchen. Menschenmassen strömten und drängten durch die Boulevards und Alleen und Gassen. Spitze Schreie ertönten aus den Nervenkitzelkavernen, das Zischen und fauchende Schschhht , wenn die Gondeln von Groß-Pyroteck vorbeikamen, die Preisungen von Ausrufern und Krämern, die Klänge von schallenden Zithern, rauhen Akkordeons, läutenden Glockengeigen, klagenden Vibriergitarren und strahlenden Funkentriangeln … das alles vermischte sich mit dem Scharren von hunderttausend Füßen und dem Unterton von Aufregung, dem Schreien erschrockener Verblüffung und der Überraschung und des Entzückens.
    Im Verlaufe des Abends wurde der

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