Farm der Tiere
neuerliche Erklärung abzugeben. Als seine letzte Tat auf Erden habe Genosse Napoleon eine feierliche Verordnung erlassen: der Genuß von Alkohol sei mit dem Tode zu bestrafen.
Am Abend jedoch schien sich Napoleons Befinden etwas gebessert zu haben, und am nächsten Morgen konnte Schwatzwutz ihnen allen mitteilen, er sei bereits auf dem Weg zur Genesung. Am Abend dieses Tages war Napoleon wieder an der Arbeit, und am nächsten Tag erfuhr man, er habe Whymper damit beauftragt, in Willingdon einige Broschüren über das Brauen und Destillieren zu besorgen. Eine Woche später erteilte Napoleon den Befehl, die kleine Koppel hinter dem Obstgarten umzupflügen, die man ursprünglich den pensionierten Tieren als Weidegrund hatte reservieren wollen. Es wurde verlautbart, daß die Weide ausgelaugt war und neu besät werden mußte; doch es wurde bald bekannt, daß Napoleon dort Gerste anzubauen plante.
In dieser Zeit ereignete sich ein sonderbarer Vorfall, den sich kaum jemand zu erklären wußte. Eines Nachts gegen zwölf Uhr gab es im Hof ein Riesengetöse, und die Tiere kamen aus den Ställen gestürmt. Es war eine mondhelle Nacht. Am Fuß der Rückwand der großen Scheune, dort wo die Sieben Gebote angeschrieben standen, lag eine entzweigebrochene Leiter.
Daneben spreizte sich der vorübergehend betäubte Schwatzwutz, und unweit von ihm lagen eine Laterne, ein Pinsel und ein umgekippter Topf mit weißer Farbe. Die Hunde bildeten sofort einen Ring um Schwatzwutz und eskortierten ihn zum Farmhaus zurück, sobald er laufen konnte. Keines der Tiere konnte sich einen Reim darauf machen, nur der alte Benjamin nickte wissend mit der Schnute und schien sehr wohl zu verstehen, doch sagen wollte er nichts.
Doch als sich Miriam ein paar Tage später die Sieben Gebote selber vorlas, da bemerkte sie, daß es noch eines gab, das die Tiere falsch in Erinnerung hatten. Sie hatten gedacht, das Fünfte Gebot laute: ›Kein Tier soll Alkohol trinken‹, aber da standen zwei Worte, die sie vergessen hatten. Eigentlich lautete das Gebot: ›Kein Tier soll Alkohol trinken im Übermaß.‹
KAPITEL IX
Es dauerte lange Zeit, bis Boxers gesplitterter Huf verheilt war. Man hatte gleich an dem Tag nach den Siegesfeiern mit dem Wiederaufbau der Windmühle begonnen. Boxer weigerte sich, der Arbeit auch nur einen Tag fernzubleiben, und machte eine Ehrensache daraus, sich seine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Abends gestand er Kleeblatt unter vier Augen, daß ihm der Huf doch sehr zu schaffen mache. Kleeblatt behandelte den Huf mit Breiumschlägen aus Kräutern, die sie zur Vorbereitung durchkaute; und sowohl sie wie auch Benjamin redeten Boxer ins Gewissen, nicht mehr so schwer zu arbeiten.
»Pferdelungen halten auch nicht ewig«, sagte sie zu ihm. Doch Boxer wollte nichts davon hören. Er habe nur noch einen wirklichen Ehrgeiz, sagte er - nämlich, den Bau der Windmühle möglichst weit fortgeschritten zu sehen, bevor er das Ruhestandsalter erreiche.
Zu Anfang, als die Gesetze der Farm der Tiere zum erstenmal formuliert worden waren, hatte man die Altersgrenze für Pferde und Schweine auf zwölf, für Kühe auf vierzehn, für Hunde auf neun, für Schafe auf sieben und für Hühner und Gänse auf fünf Jahre festgesetzt. Man hatte sich auf eine großzügige Altersversorgung geeinigt. Bis jetzt war noch kein Tier tatsächlich in den Ruhestand getreten, doch in letzter Zeit hatte das Thema immer häufiger zur Diskussion gestanden. Jetzt, wo das kleine Feld hinter dem Obstgarten dem Anbau von Gerste vorbehalten blieb, munkelte man, daß eine Ecke der großen Weide abgezäunt und in einen Weideplatz für überalterte Tiere verwandelt werden sollte. Für ein Pferd, hieß es, werde die Altersversorgung täglich fünf Pfund Korn und im Winter fünfzehn Pfund Heu betragen, zuzüglich einer Möhre oder möglicherweise eines Apfels an öffentlichen Feiertagen. Boxers zwölfter Geburtstag würde nächstes Jahr im Spätsommer sein.
Unterdessen war das Leben hart. Der Winter war so streng wie der letzte und das Futter sogar noch knapper. Abermals wurden alle Rationen gekürzt, nur die der Schweine und Hunde nicht. Eine allzu starre Gleichheit der Rationen, erklärte Schwatzwutz, würde den Prinzipien des Animalismus widersprochen haben. Jedenfalls bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, den anderen Tieren zu beweisen, daß es in Wirklichkeit gar keinen Futtermangel gab, auch wenn es scheinbar so aussah. Vorläufig sei es freilich für nötig
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