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Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Faszinierend wie der Kuss des Herzogs

Titel: Faszinierend wie der Kuss des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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den Duke und sich selbst zu stoßen, eine Barriere – um ihn daran zu erinnern, wer und was sie wirklich waren.
    Stattdessen stieß Artemis’ harter Ellbogen gegen seinen Kopf. Zusammen mit der Statue fiel er zu Boden.
    Erschrocken sah sie die blutende Wunde an seiner Stirn, die geschlossenen Augen. „Edward!“, rief sie, kniete neben ihm nieder und tastete nach seinem Handgelenk. Erleichtert spürte sie seinen Puls. Sie hatte ihn nicht getötet.
    Noch nicht.
    „Bleiben Sie hier“, wisperte sie, „ich hole Hilfe!“
    Und dann eilte sie davon, vorbei an all den Antiquitäten und den Schatten, nicht sicher, wohin – oder wovor sie flüchtete.
    Den grünen Seidenstreifen in der Hand des Dukes hatte sie nicht bemerkt.

1. KAPITEL

    Provinz Enna, Sizilien, sechs Monate später
    „‚O Grab, o Brautgemach und o du Haus aus Stein, das ewig mich umschließen soll, in das ich wandre zu den meinen allen, die schon Persephone bei sich empfing. Die Letzte bin ich, die Unseligste …‘“
    Clio Chase richtete ihr Fernrohr in die Ruine des Amphitheaters, wo ihre Schwester Thalia die Zeilen aus „Antigone“ deklamierte.
    Obwohl die zerbröckelte Bühne weit entfernt von dem Felsenhang lag, wo sie saß, sah sie Thalias goldenes Haar im Morgensonnenlicht glänzen und hörte die Worte von Sophokles’ Prinzessin, die zu ihrem Tod geleitet wurde. Dieser ewige Kampf von Leben und Tod, Schönheit und Schicksal schien diesem hellen Tag, diesem Land anzugehören. Im alten Sizilien hatten zahlreiche Eroberer die felsigen Berge und staubigen Ebenen erkundet. Und keiner hatte es wirklich beherrscht. Denn es war das Eigentum der Götter – viel älter, als in der griechischen und der römischen Kultur bekannt.
    Clio lenkte ihr Fernglas, das sie dem Schiffskapitän auf der Fahrt von Neapel nach Sizilien abgekauft hatte, an ihrer Schwester vorbei zu der Landschaft hinter der Bühne. In London könnte sich kein Theaterdirektor eine so grandiose Szenerie ausmalen, dachte sie. Unter dem blauen Himmel reihten sich Berge wie neblige Meereswogen aneinander, grün und braun und violett, bis zum schneebedeckten Gipfel des Ätna, zwischen Wolken halb verborgen.
    In der Ferne, kaum sichtbar, schimmerte das silbrige Wasser des Sees Pergusa, wo Persephone von Hades in sein unterirdisches Reich entführt worden war. Blumenwiesen erstreckten sich zwischen Olivenhainen, Zitronen- und Orangengärten und bestätigten die Ankunft des Frühlings.
    Enna, das Bindeglied der Trinacria, der drei Provinzen – ein heiliger Ort, die Heimat Demeters und ihrer Tochter …
    Und jetzt besuchten Mitglieder der Familie Chase diese herrliche Gegend. Mit ihrem Vater und zwei ihrer Schwestern, Thalia und Terpsichore, war Clio hierhergereist. Calliope, die älteste Schwester, genoss währenddessen ihre Flitterwochen. Schon vor langer Zeit hatte Sir Walter Chase, ein begeisterter Wissenschaftler, von den archäologischen Wundern gehört, die in Enna auf ihre Entdeckung warteten. Seine Freundin Lady Rushworth war ihm gefolgt. Doch sie interessierte sich vor allem für die erlesenen Zirkel der in der Stadt Santa Lucia, hoch oben in den pittoresken Bergen, lebenden Engländer. Dort hoffte sie die geistige Anregung zu finden, die sie auf den oberflächlichen Partys in Neapel vermisst hatte.
    Die Stirn gerunzelt, senkte Clio das Fernglas und dachte an Santa Lucia. Gewiss, eine schöne Stadt mit der barocken Kirche, den alten Palazzi und der mittelalterlichen Burg … Aber dort gewann sie immer wieder – von den sizilianischen Dienstboten abgesehen – den Eindruck, sie hätte England gar nicht verlassen. So wie in London ging sie auf Partys bei Lady Rushworth, der Viscountess Riverton oder den Elliotts.
    Doch sie wollte nicht an England denken. Was dort geschehen war, was sie zurückgelassen hatte … Sie schlang die Arme um ihre angezogenen Knie. Wie ein schützendes Zelt schien das alte Arbeitskleid aus braunem Musselin ihren Körper zu umgeben. Die warme Brise, vom Duft der Pinien und den bereits welkenden Blüten der Mandelbäume erfüllt, zerzauste ihr locker hochgestecktes kastanienrotes Haar.
    Hierher gehörte sie, an dieses einsame Fleckchen Erde, nicht nach Santa Lucia oder London, schon gar nicht ins Schloss des Duke of Averton mit den gewundenen dunklen Korridoren, wo an allen Ecken Gefahren und Geheimnisse lauerten. Wie die unglücklichen Schatten im Reich des Hades …
    Averton. Würde sie jemals einen Tag erleben, an dem ihre Gedanken nicht zu diesem

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