Fatales Vermächtnis
die Hände auf den Rücken. »Ich hätte nichts unternommen, um meinen Soldaten davon abzuhalten, dich für deine vorlauten Worte zu bestrafen. Ganz im Gegenteil, ich hätte ihn zuschlagen und immer wieder zuschlagen lassen, bis ich das Krachen deiner Knochen gehört hätte. Dass du keinen einzigen Hieb zu spüren bekommen hast, verdankst du demnach deiner mutigen Tochter, Herzog.« Er lächelte böse. »Wäre ich so schrecklich, wie du glaubst, würde ich nun euch beide züchtigen lassen, bis ihr keine Haut mehr auf den Fußsohlen hättet.« Er schritt auf ihn zu. »Doch so bin ich nicht.« Nech drehte sich zu Ib'annim. »Tai-Sal, lass das Schloss abbrennen und hänge die Menschen oben an die Fahnenstangen. Es soll Abschreckung genug für die Bewohner des Landes sein. Ein gekröntes Haupt und der Stellvertreter des Gottes Angor muss gebührend behandelt werden, ganz gleich aus welchem Land man stammt.«
Der Herzog verlor seine aufrechte Haltung, die Frauen weinten und jammerten, reckten die Hände flehend; lediglich Amaly-Caraille sah ihn aus ihren blauen Augen erwägend an, als glaube sie ihm nicht.
Nech brachte die anderen mit einer Handbewegung zum Verstummen, dann lachte er laut. »Ein Scherz! Nichts weiter als ein Scherz.« Er hielt Amaly-Caraille seine Hand hin. »Niemandem wird ein Haar gekrümmt, das verspreche ich einer tapferen jungen Dame wie dir. Und wenn wir abziehen, werden wir das Tor an Ort und Stelle setzen, das schwöre ich.«
Fassungslos starrten die Adligen den Kaiser an, auch Amaly-Caraille benötigte drei Atemzüge, bis sie sich zu rühren vermochte.
Sie missachtete sämtliche Blicke ihrer Familie und hob langsam den Arm, um ihre Finger in die Hand des Fremden zu legen, der ihr imponierte und den sie anziehend fand. Amaly-Caraille schob es auf das exotische Äußere und die Macht, die er ausstrahlte; dass er ganz nebenbei einen Wuchs aufwies, der ihn allen jungen Adligen in der Region überlegen machte, tat sein Übriges dazu. Ein Krieger durch und durch.
»Darf ich mich Euch als Eure Führerin andienen, hoheitlicher Kaiser Nech Fark Nars'anamm?«, fragte Amaly-Caraille und machte einen formvollendeten Hofknicks. »Ich weise Euch das Schloss, wenn Ihr möchtet.«
Nech zeigte die weißen Zähne. »Ich bestehe darauf.« Er deutete auf den Eingang, und die junge Frau übernahm kaum merklich die Führung. »Tai-Sal, lass den Herzog und seine Familie frei, doch sorg dafür, dass sie auf dem Schloss bleiben.« Er schritt durch den Torbogen, die Augen auf Amaly-Carailles nackte Schultern geheftet und nicht auf die prächtige Fassade des Innenhofs.
Kontinent Ulldart, westliche Inseln des Königreichs Rundopäl, Frühling im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)
mehr Tote.« Lodrik betrachtete die Hallig, an der sie in langsamer Fahrt vorbeiglitten, vom Schiffsdeck aus. Das Eiland beherbergte drei Häuser, ausnahmsweise kleine Gehöfte und nicht die Hütten von Fischern. Auf den grünen Grasflecken lagen die
Leichen von dreißig Männern, Frauen und Kindern. »Zvatochna verbirgt nicht, dass sie hier war.«
Neben ihm flirrte die Luft, und Soscha erschien als geisterhaftes Abbild ihres menschlichen Äußeren. Die halblangen braunen Haare lagen dicht am Kopf und waren zu einem Zopf geflochten; sie hatte die tarpolische Tracht gewählt, wie sie Norina gerne trug. Lodrik stellte fest, dass sie immer besser darin wurde und sogar das Durchscheinende verlor. Bald würde man sie für einen echten Menschen und nicht für eine verlorene Seele halten. »Sie ist uns de weit voraus, Bardric«, erstattete sie ihm Bericht. »Ich konnte sie m nicht aufspüren.«
Er befahl dem Kapitän, Kurs auf die kleine Mole zu nehmen. »Ich will sehen, was sie angerichtet hat. Vielleicht finden
wir einen Hinweis, wohin sie möchte oder was genau sie bezweckt.«
Die Wellenkamm, eine neue Variante der Handelskoggen mit
zwei Masten sowie einer neuen Segelform, eng an die Bauweise der tarvinischen Dharkas angelehnt, ging längsseits zu der Hafenmauer; die Besatzung vertäute das Schiff und legte die Planke aus. »Einen solchen Fehler würde sie nicht begehen«, widersprach Soscha.
»Jeder begeht Fehler.« Lodrik schritt voran, und der Saum seiner nachtblauen Robe schwang dabei weit vor und zurück. Die Kapuze bedeckte seine dünnen blonden Haare und schützte das fahle, knochige Gesicht vor dem kühlen Wind. Soscha schwebte neben ihm her. Sie zeigte sich ganz offen und kümmerte sich nicht um die Seeleute. Schließlich
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