Faunblut
würden Mauerreste in sich zusammenstürzen. Dann ein verwaschener Ruf – und ein Schuss.
Jade prallte so heftig zurück, dass sie sich den Kopf an der Mauer stieß. Ein weiterer Schuss verhallte in den Gassen, dann hörte sie Geschrei und eine herrische Stimme aus der Richtung, in die die Echos gelaufen waren: »Dahinten!«
Bevor Jade sich hinter die Mauer flüchten konnte, tauchte an einer Straßenecke schon der erste Jäger auf – es war eine junge Frau. Ihr Mantel bestand aus dunklen und hellen Lederfetzen, die in ihrer regelmäßigen Anordnung an ein Schachbrett erinnerten. Die Augen der Jägerin verengten sich, als sie das Gewehr hochriss und auf etwas zielte, das sich einige Meter rechts von Jade befand. Im Bruchteil einer Sekunde nahm Jade jede Einzelheit wahr: das straff zurückgekämmte braune Haar der Frau, die seidengrauen Augen und den schwarzen Glanz der Waffe. Der Schuss zerriss ihr fast die Ohren. Mauerwerk zerplatzte über ihrer Schulter, und noch während die Steinsplitter auf sie herunterregneten, begriff sie, dass ein Querschläger sie knapp verfehlt hatte. Instinktiv rettete sie sich in den Torbogen. Zitternd kauerte sie sich an die Reste einer zerbrochenen Tür und machte sich so klein wie möglich. Sie waren nicht hinter ihr her, die Jägerin hatte sie noch nicht einmal entdeckt, trotzdem saß der Schreck.
»Hier! Wasserspuren, die zur alten Kirche führen!«, rief eine Männerstimme. Hundegebell erklang, die Frau und die anderen Jäger stürmten weiter nach Süden. Also hatte Jade richtig vermutet: Sie waren den Echos auf den Fersen. Dennoch wagte sie erst nach einer ganzen Weile, wieder den Kopf zu heben. Sie musste zu Lilinn zurück. Sicher war ihre Freundin schon auf dem Weg zur Greifenbrücke. Das war der Treffpunkt, an dem sie aufeinander warteten, wenn sie sich in der Stadt aus den Augen verloren hatten.
Jade ließ die Arme, die sie immer noch schützend über dem Kopf hielt, ganz sinken. Vor Erleichterung stiegen ihr die Tränen in die Augen. »Wo warst du?«, flüsterte sie der Gestalt zu, die im Gegenlicht auf sie heruntersah. Jade sprang auf – und der Schatten wich sofort zurück. Ein blasser Sonnenstrahl fing sich in den Maschen eines Fischernetzes. Jade erstarrte mitten in der Bewegung. Das da war nicht Lilinn. Nur wenige Schritte entfernt stand ein Echo und starrte sie direkt an. Hinter dem schmutzigen Netz glaubte sie das Funkeln seiner Augen zu erkennen, doch viel schrecklicher war der dunkle Fleck, dort, wo das Maul sein mochte. Das Wesen gab ein Zischen von sich, ein erstickter Laut, der Jade durch und durch ging. An jedem anderen Tag hätte sie geschworen, sie würde lieber barfuß auf glühenden Kohlen tanzen, als die Leute der Lady zu Hilfe zu rufen, aber jetzt holte sie krampfhaft Luft, nahm ihre ganze Kraft zusammen und schrie: »Echo! Hier!«
Das Echo duckte sich, spannte die Gliedmaßen an wie ein Raubtier, das mit gesträubtem Fell zum Sprung ansetzt – und schnellte los.
Jades eigener Schrei gellte ihr noch in den Ohren, dann verschwamm die Zeit vor ihren Augen, sie wusste nicht mehr, wie sie vom Stadtpalast weggekommen war, aber nun lief sie, ganz von selbst trugen ihre Beine sie davon. Ihr keuchender Atem hallte in ihrem Kopf. Das Echo holte auf, sie konnte es hören. Ein zischender Ruf erreichte sie und jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. »Sinahe!« Ein fremdes Wort. Sie glaubte bereits, Atem im Genick zu fühlen, die lange Dolchzunge zu spüren, die sich zwischen ihre Schulterblätter bohrte, war sicher, dass Fänge bereits nach ihr schlugen und sie gleich zu Fall bringen würden. Mit einem Schrei sprang sie zur Seite, schlug einen Haken und tauchte durch einen Steinbogen.
Scharf bog sie um eine Ecke und rutschte beinahe auf Geröll aus. Der Schmerz an ihrer bloßen Sohle ließ sie zusammenzucken. Taumelnd fing sie sich wieder, dann fegte sie auf einen Brunnenplatz in der Nähe einer Brücke. Ein Schwarm Tauben flatterte hoch und floh, zwei Schüsse fielen – so laut und nah, dass Jade den Knall als schmerzhaftes Knacken in ihrem Ohr spürte. Sie sah aufgerissene Galgomäuler, blitzende Hundefänge und die Mündungen von Gewehren. Finger lagen gespannt an den Abzügen. Zweifel huschten über die Mienen der Jäger, für einen Moment zwischen Leben und Tod schwebend, erkannte Jade, dass sie nicht sicher waren, ob sie abdrücken sollten.
»Weg da!«, schrie einer. Gleich darauf feuerten sie. Jade warf sich auf den Boden, rollte zur Seite
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