Feindgebiet
der Imperator seine Geheimdienstleute immer wieder erinnern.
Doch grau ist alle Theorie. Gegenwärtig wurde sie jedenfalls nicht übermäßig korrekt praktiziert. Wie so manches andere Bürgerrecht war auch die freie Meinungsäußerung zu Zeiten wie diesen nicht sehr gefragt. Es gab viele tausend Abweichler, die den Krieg in Internierungslagern verbrachten, nur weil sie zu bedenken gegeben hatten, dass auch der Ewige Imperator nicht auf alle Fragen eine Antwort wusste.
Das Demokratische Bildungszentrum war etwas völlig anderes. Seiner recht einfach gehaltenen Philosophie zufolge hatte das Imperium den Tahn gegenüber zu empfindlich reagiert, man hätte friedfertigere Mittel einsetzen sollen. Vor dem Krieg hatte sich das Zentrum um Imperiale Zuschüsse bemüht, um andere, ähnliche Zentren innerhalb des Tahn-Imperiums aufzubauen. Die guten Menschen dieses Vereins glaubten daran, dass die Wahrheit die Oberhand gewinnen würde – sobald man nur einem Tahn, ungeachtet seiner Klassenzugehörigkeit, deutlich machen konnte, wie unmenschlich seine Gesellschaft war, dann würde sich diese Gesellschaft verändern. Zum Glück wurden die Zuschüsse nicht gewährt, und keiner dieser Theoretiker endete als Missionarseintopf.
Da die Tahn nun einmal nicht aus ihrer Haut herauskonnten, hatten sie die Existenz dieser Demokratischen Bildungszentren lautstark begrüßt, solange sie sich auf Imperialen Welten ansiedelten. Und prompt hatten sie diese Organisation als Agitationsfeld ausgenutzt.
Inzwischen waren sämtliche aktiven Agenten natürlich längst aufgeflogen, doch das Zentrum existierte weiterhin – mit dem zähneknirschenden Einverständnis des Imperators. Die Organisation war ein hervorragendes Mittel, zukünftige Dissidenten ausfindig zu machen und aus diesem Grund mit Imperialen Geheimdienstlern durchsetzt. Dabei fiel dem Imperialen Geheimdienst nicht einmal mehr auf, dass das Zentrum ohne ihre eigenen Agenten schon vor Jahren bankrott gewesen wäre. Selbst eine Agitationzentrale war auf die regelmäßige Zahlung von Beiträgen angewiesen, und nur sehr wenige der Mitglieder des Zentrums wurden politisch so eingestuft, dass man sie als etwas anderes als Hausmeister eingestellt hätte.
Chapelle wusste von der Existenz des Zentrums schon eine ganze Weile. Er wusste nicht mehr genau, wie er davon erfahren hatte. Natürlich war die Information in einer frühen Botschaft seiner »Stimmen« verborgen gewesen.
Sullamora wollte nicht unbedingt, dass sich Chapelle der Organisation anschloss. Doch sobald der Mann seine Entscheidung getroffen hatte, konnte der vierte Schritt seiner Erziehung beginnen.
Das Problem bestand darin, dass Chapelle etwas klüger zu sein schien, als es das Sullamora vorliegende Persönlichkeitsprofil vermuten ließ. Chapelle mochte zwar naiv sein, doch er war recht schnell auf die Idee gekommen, dass die Agenten des bösen Imperators das Zentrum infiltriert haben könnten. Sobald er durch jene Tür schritt, das wusste Chapelle, war das sein Tod. Der Imperator würde es als Vorwand benutzen, ihn ergreifen, foltern und anschließend in eine Todeszelle bringen zu lassen, so wie ihm die Stimmen erzählt hatten, dass es Millionen von anderen ergangen sei.
Andererseits scheint es keine Alternative zu geben‹, sinnierte Chapelle.
Als er bemerkte, dass jemand neben seinem Tisch stand, kam er wieder zu sich und duckte sich leicht in die Ecke. Er war in dieser Cafeteria noch nie zuvor bedroht worden, da die meisten Kunden ihm wohl ansahen, dass bei ihm nichts zu holen war. Außerdem hatte er diesen bestimmten Glanz in den Augen, der andere davor zurückschrecken ließ, ihn auch nur zum Spaß ein bisschen herumzuschubsen; das konnte ungeahnte Folgen haben.
›Der Mann gehört nicht in diese Spelunke‹, dachte Chapelle. Sogar noch weniger als Chapelle selbst. Er war schon älter. Grauhaarig. Unauffällig und teuer gekleidet. Chapelle fragte sich, warum man ihn nicht sofort in einer Ecke zusammengeschlagen hatte, da fielen ihm die prallen Muskeln und die kaum sichtbare Narbe am Hals des Mannes auf. Er war gewiss kein leichtes Opfer.
Der Mann fixierte Chapelle mit festem Blick. »Sie gehören nicht hierher«, sagte er ohne Umschweife.
Chapelle stammelte etwas; da fing der Mann plötzlich zu lächeln an.
»Ich auch nicht«, sagte er. »Aber ich habe da wohl ein Problem.«
Und dann saß er Chapelle, ohne gefragt zu haben, gegenüber.
»Mein Problem ist: ich habe mich verlaufen.« Er lachte. Es war das volle
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