Feine Familie
nahezu ausnahmslos Geldgier. Doch hatte Yapp schon seit langem seine Bewunderung für Fakten und damit für ihr Korrelat, nämlich die Wahrheit, aufgegeben. Sein hartnäckiges Beharren auf letzterer hatte ihn ins Gefängnis gebracht, und daß er dort überlebte, verdankte er nur seinen haarsträubenden Lügengeschichten. Kurz und gut, er hatte sich damit abgefunden, selbst das einzige Verläßliche in einer ansonsten launenhaften Welt zu sein. Dabei konnte er nicht einmal seiner selbst ganz sicher sein. Seine anhaltende Leidenschaft für Rosie Coppett gemahnte ihn auf heilsame Weise an seine eigenen irrationalen Impulse, doch zumindest blieb es ihm selbst überlassen, damit zurechtzukommen, so gut es ging. In dieser Beziehung sagte ihm das Gefängnisleben ganz und gar zu. Man erwartete von ihm kein gutes Benehmen. Im Gegenteil. Als der einzige Mörder in Ragnell, und Psychopath noch dazu, erwartete man von ihm extreme Widerwärtigkeit. Die Gefängniswärter empfanden seine Anwesenheit als recht nützlich, denn bei lästigen Störenfrieden genügte die bloße Andeutung, man würde sie zu Yapp in die Zelle stecken, falls sie sich nicht anständig aufführten, um sie dazu zu veranlassen, die Gefängnisvorschriften aufs Wort zu befolgen.
Infolge dieses schrecklichen Rufes waren Yapps Vorlesungen gut besucht, die Sträflinge lieferten ihre Arbeiten rechtzeitig zum Termin ab, und im Gemeinschaftsraum hörte man ihm ohne jene unverhohlene Langeweile zu, die er in der Cafeteria in Kloone um sich verbreitet hatte. Das Gefängnisleben hatte noch andere Vorteile. Es gab dort so gut wie keine Hierarchie, außer auf einer recht abstrakten Ebene (wegen des Zwergenmordes rangierte Yapp ganz oben auf der Verbrecherliste), und absolut keine Unterschiede im Hinblick auf Essen und Unterbringung.
Die reichsten Börsenmakler und gestrauchelten Politiker bekamen dasselbe Frühstück wie mittellose Einbrecher und vom Weg abgewichene Vikare, und alle trugen dieselbe Kleidung. Sie standen alle zur selben Zeit auf, hatten denselben Tagesablauf und gingen zur selben Stunde ins Bett. Yapps Sympathien galten eindeutig den Wärtern und dem Dienstpersonal, die nach der Arbeit nach Hause zu quengelnden Frauen, dubiosen Mahlzeiten, finanziellen Sorgen und all den Unsicherheiten der äußeren Welt zurückkehren mußten. Er hatte sogar schon das Stadium erreicht, in dem er zu der Ansicht gelangt war, das Gefängnisleben sei das moderne Äquivalent zum Klosterleben im Mittelalter. Auf seinen Fall traf das ganz bestimmt zu. Die Gewißheit, völlig unschuldig zu sein, führte dazu, daß er sich in vollkommener geistiger Sicherheit wiegte.
So fand er es ziemlich beunruhigend, als der Wärter ihn aufforderte, ihm ins Büro des Gefängnisdirektors zu folgen. Grimmig pflanzte er sich vor dessen Schreibtisch auf. »Ach, Yapp, ich habe großartige Neuigkeiten für Sie«, sagte der Direktor. »Ich habe hier eine Mitteilung des Innenministers, die besagt, daß der Strafaussetzungsausschuß die Zeit für gekommen hält, Sie auf Bewährung freizulassen.«
»Was?« fragte Yapp.
»Auf Bewährung. Natürlich müssen Sie sich regelmäßig melden ...«
»Aber ich will hier gar nicht weg«, sagte Yapp. »Ich habe mich hier recht gut eingewöhnt und gebe mir alle Mühe, den anderen Häftlingen zu helfen, und außerdem ...«
»Das ist ohne Zweifel der Grund, warum der Strafaussetzungsausschuß diese Entscheidung getroffen hat«, meinte der Direktor. »Ich habe in meinen Berichten wiederholt betont, daß Ihre Führung beispielhaft ist, und was mich betrifft, so darf ich sagen, daß es mir leid tut, wenn Sie gehen.«
Trotz entschiedenen Protestes wurde Yapp in seine Zelle zurückgebracht und eine Stunde später mit einem kleinen Koffer unter dem Arm zum Gefängnistor hinausgeschoben. Begleitet wurde er von einer handfesten, in Tweed gekleideten Gefangenenhelferin.
»Könnte gar nicht besser sein«, sagte sie energisch, als sie zum Wagen gingen. »Es gibt nichts Besseres, als an einem schönen Tag ein neues Leben zu beginnen.«
»Neues Leben, schöne Scheiße«, sagte Yapp und erwog kurzfristig, zu seinem alten zurückzukehren, indem er diesem verdammten Weib eins über den Schädel zog. Doch dann gab er schnell seiner angeborenen Schwäche nach, zumal seine Gefühle für Doris aufs neue auflebten. Sie allein blieb unverbrüchlich loyal. Zumindest ging er davon aus. Und mit dem ganzen neuen Erfahrungsmaterial, mit dem er sie zu programmieren gedachte, würde es
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