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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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hob Emmelia die Augen zu einem Porträt ihrer Mutter, begegnete dort aber nur der langweiligen Fehlerlosigkeit einer Frau, die bei unzähligen, endlosen Abendgesellschaften und Wochenend-Parties in ihrem Haus ihre Pflicht erfüllt hatte. In ihrem teilnahmslosen Blick fand sie keinerlei Unterstützung. Er erinnerte sie höchstens daran, daß die Loyalität gegenüber der Familie vor persönlichen Präferenzen rangierte. Nichts hatte sich geändert; und es würde sich auch nie etwas ändern. In ganz England benahmen sich die Leute so verrückt, wie sie es getan hatte, nur war sie eine einflußreiche Frau und konnte sich somit den Konsequenzen ihres Handelns entziehen. In einer Welt, in der es eine derartige Trennung gab, war für Unschuld kein Platz.
    »Ich bin bereit, genau das zu tun, was du sagst«, sagte sie schließlich, »unter der Bedingung, daß du deinen Einfluß geltend machst ...«
    »Wenn du meinen Rat nicht befolgst, dann werden wir keinerlei Einfluß haben«, unterbrach sie der Richter. »Ohne unsere Reputation der Rechtschaffenheit haben wir gar nichts. Das ist die Crux bei der ganzen Angelegenheit.« Einen Augenblick lang war Emmelia drauf und dran, klein beizugeben – aber nur einen Augenblick lang. Als sie nämlich aufblickte, sah sie auf Lord Petrefacts Gesicht ein triumphierendes Lächeln. Es erinnerte sie auf groteske Weise an ihre Streitereien im Kinderzimmer – ein kindischer grinsender Schädel. Und das reizte sie.
    »Ich möchte die Angelegenheit mit Ronald besprechen«, sagte sie ruhig. »Unter vier Augen.«
    »Wie du willst«, sagte der Richter und erhob sich, doch Lord Petrefact dachte über die Sache anders. »Laßt mich bloß nicht mit ihr allein«, kreischte er. »Sie ist verrückt. Sie ist wahnsinnig. Um Himmels willen ... Croxley!« Doch seine beiden Vettern hatten das Zimmer bereits verlassen und unterhielten sich draußen auf dem Gang. »Du glaubst doch nicht ...«, begann der Brigadegeneral. Der Richter schüttelte den Kopf.
    »Dabei hätte ich selbst schon oft große Lust dazu verspürt, und außerdem hat so ein Mord in der Familie durchaus seine Vorteile. Wenn man sie für nicht verhandlungsfähig erklären und gleich nach Broadmoor schicken würde, wäre das ungleich besser, als wenn wir die Peinlichkeit ihres Prozesses als Zwergenschänderin über uns ergehen lassen müssen.« Aber Emmelia sollte erneut betrogen werden. Als sie sich von ihrem Stuhl erhob, plumpste Lord Petrefact vornüber aus dem Rollstuhl und blieb reglos auf dem Boden liegen. Ganze fünf Minuten lang stand sie da und betrachtete ihn, bevor sie nach Croxley und dem Reanimationsteam schickte. Bis dahin hatte sich Lord Petrefact zu seinen Ahnen gesellt. Es war ein sehr zögerlicher Inspektor Garnet, der am folgenden Tag im New House aufkreuzte, um Emmelia zu verhören, und ein entschieden verunsicherter, der wenig später in den Salon geleitet wurde. Der Sarg in der Halle und der leere Leichenwagen vor der Tür waren kaum gute Vorzeichen für sein Vorhaben. Ebensowenig die Anwesenheit von Richter Petrefact im Salon.
    »Meine Cousine ist in Trauer, Inspektor«, sagte er abweisend. »Sie werden also die Güte haben, mir Ihr Anliegen vorzutragen.«
    Der Inspektor steckte sein Notizbuch in die Tasche. »Ich wollte nur feststellen, ob Miss Petrefact gewußt hat, daß ihr Wagen für die Ausführung mehrerer Verbrechen benutzt wurde.«
    Der Richter warf ihm einen boshaften Blick zu. »Die Antwort auf diese Frage muß für Sie doch auf der Hand liegen, Inspektor. Hätte meine Cousine auch nur den Hauch eines solchen Verdachtes gehegt, hätte sie nichts Eiligeres zu tun gehabt, als Sie davon in Kenntnis zu setzen. Da sie das nicht getan hat, ist die Frage wohl irrelevant.«
    Als der Inspektor abzog, kam er sich selbst recht irrelevant vor. »Um in diesem Scheißland Gerechtigkeit zu erfahren, muß man schon arm oder schwarz sein«, sagte er verbittert zum Sergeant.
    An einem freundlichen Frühlingsmorgen wurde Yapp aus der Bibliothek des Ragnell-Regis-Gefängnisses ins Büro des Direktors gerufen. Er war mit der Ausarbeitung einer Vorlesung beschäftigt, die er vor Gefangenen halten sollte, die ein Fernstudium absolvierten. Sie trug den Titel »Kausative Umweltfaktoren in der Verbrechenspsychologie« und hatte nach Yapps Ansicht den paradoxen Vorzug, ganz und gar im Widerspruch zu den Tatsachen zu stehen. Alle seine Mithäftlinge kamen aus hervorragenden sozialen Verhältnissen, und das Motiv für ihre Verbrechen war

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