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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Hin und wieder wurde Gustav von ihnen eingeladen, und er brachte ihnen als Geschenk eine Flasche Wein mit. So wechselten in vierteljährlicher Regelmäßigkeit die Weinflaschen ihre Besitzer - nur die Gefühle, Gustavs Gefühle, denn er besaß ja tatsächlich welche, die blieben in dem Gefängnis, in dem jeder Einsame mit sich und seinen Gefühlen eingesperrt ist. Im Grunde genommen war Archie noch der zuverlässigste von allen, obwohl man auch ihn nur einige Male im Jahr zu Gesicht bekam und er diese schrecklichen Macken hatte. Doch er half wenigstens meinem Lebensgefährten in Notlagen und erweckte so den Schein einer Freundschaft. Und ich? Nun ja, ich war halt kein Mensch und nicht imstande, seine menschlichen Gefühlslücken zu schließen. Und trotzdem (an diesem sentimentalen Tage konnte man ja ein sentimentales Geständnis riskieren), wahrscheinlich war ich das einzige Lebewesen auf der Welt, das ihn wirklich liebte. Jawohl, ich liebte diesen Tollpatsch, diese überreife Wassermelone in Menschengestalt, dieses sprechende Nilpferd, diese Meganiete, diesen Allround-Versager, dieses selbstzufriedene Spießerschwein, diesen schriftstellernden Analphabeten, diese taube Nu ß , diese Zusammenballung von minderwertigen Atomen, diese Nullkommanull, und jeder, der ihm ans Leder wollte, würde Bekanntschaft mit meinen Skalpellkrallen machen!
    Gleich nach dem gemeinsamen Verzehren des Bratens - ich unter dem Tisch, Gustav auf einem unbequemen, für seinen Elefantenhintern viel zu kleinen Designerküchenstuhl, der mit Sicherheit ein Vermögen gekostet hatte - schlich ich zur Hintertür hinaus. Ich vergewisserte mich, da ß der Hintereingang für die Konferenzteilnehmer offenstand und tapste dann über die morsche Holztreppe eine Etage höher. Mein einsamer Freund würde währenddessen wie immer am Heiligabend dem pastoralen Stereochor von irgendwelchen Domspatzen lauschen, danach das Theater satt haben und sich erneut in die Recherchen über seine 3500jährige Göttin vertiefen.
    Draußen schneite es dicht und ohne Unterla ß , und die wie von einer überdimensionalen, blauweißen Pelerine verhüllten Stra ß en gaben ein vorzügliches Weihnachtsmotiv für ein naives Gemälde ab. Doch ein eisiger Wind signalisierte bereits, da ß das Winteridyll bald in einen bösartigen Schneesturm umschlagen würde. Durch die Fenster, deren Läden zertrümmert oder im Lauf der Jahre auf ihre bloßen Scharniere reduziert worden waren, schien das fahle Licht der Straßenlaternen in die vermoderten Räume hinein und sorgte drinnen für eine notdürftige Helligkeit. Ich war absichtlich eine Stunde früher erschienen, um mit meinen Gedanken allein zu sein. Denn irgendwie spürte ich, da ß in dieser Nacht etwas ganz Entscheidendes passieren würde. Natürlich war ich weit davon entfernt zu erwarten, da ß die Versammlung etwas spektakulär Neues zutage fördern würde. Pascal und ich wollten lediglich ein Zwischenresümee ziehen und vielleicht so was ähnliches wie gemeinsame Stärke demonstrieren. Wo und wer der Schlächter auch immer war, er sollte wissen, da ß wir ihn alle jagten und nicht länger gewillt waren, uns seiner blutigen Tyrannei zu beugen. Aber in der Luft lag auch eine sonderbare Ahnung, die Endgültiges verhieß.
    Im Zentrum des Raumes sitzend, zwischen dessen fluchbeladenen Mauern alles seinen Anfang genommen hatte, verbrachte ich die verbleibende Zeit in einem meditationsartigen Bewu ß tseinszustand. Und je mehr das Chaos in meinem Schädel einer kristallenen Ordnung wich, desto eindringlicher wurde ich von einer wohltuenden Energie erfa ß t, mit deren Schub ich dem Knackpunkt der Geschichte von Sekunde zu Sekunde näherzukommen glaubte. Es war, als ob die metaphysische Stille um mich her meine Nerven von all dem Schmutz befreite, der sich in diesem Morast von Lug und Trug, von Blut und Ha ß angesammelt hatte. Ich begann klarer und flüssiger zu denken, während die Zeit wie im Fluge zu verrinnen schien ...
    Schließlich betraten Pascal und Blaubart den Raum und bereiteten dieser merkwürdigen Meditation ein Ende, bevor sie zu irgendwelchen handfesten Ergebnissen führen konnte. Man sah es dem Alten an, da ß ihn der Marsch bis hierhin enorm angestrengt hatte. Nachdem er mich flüchtig begrüßt hatte, ließ er sich wie narkotisiert auf seinen Hintern plumpsen und schnappte nach Luft.
    »Wann fängt der Zirkus endlich an?« fragte Blaubart ungeduldig und schielte dabei verächtlich nach den aus dem aufgebrochenen

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