Felidae
heimsuchenden Trauer darüber, was meinem geliebten Freund in Bälde widerfahren würde. Und so fiel auf jeden Ausbruch von Freude, auf jedes Lachen und auf jedes Zipfelchen Glück der Schatten des Todes. Gewi ß , er war noch sehr weit entfernt und nur schemenhaft zu erkennen. Doch man sah schon seine blutrot leuchtenden Augen.
Wir legten nur wenige Pausen ein, in denen uns Blaubart mit frischen Informationen versorgte oder mit dem neuesten Revierklatsch unterhielt. In einer dieser Pausen erregte erneut das mächtige Wandgemälde meine Aufmerksamkeit, welches Gregor Johann Mendel darstellte. Da ich mich fast ununterbrochen im Arbeitszimmer aufhielt, war das Bild inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, und ich nahm es kaum mehr zur Kenntnis. Aber urplötzlich sprang es mir wieder ins Auge, und ich erinnerte mich daran, da ß diese düstere Gestalt in einem meiner grauenhaften Alpträume aufgetaucht war. So fragte ich Pascal, wer zum Teufel eigentlich dieser Gregor Johann Mendel sei. Er antwortete nur kurz angebunden, es handle sich bei ihm um einen berühmten Kirchenmann aus dem vorigen Jahrhundert, den sein Herrchen sehr bewundere. Nun, die Antwort reichte mir aus, um Schlüsse auf die Frömmigkeit des Herrchens zu ziehen, und ich ließ es dabei bewenden.
Schließlich war das Werk vollbracht, und wir bereiteten uns allmählich auf die Versammlung vor, in der wir das gemeine Volk über unsere Ergebnisse informieren wollten. Außerdem wollten wir es vor dem Mörder warnen und es über dessen merkwürdige Gepflogenheiten aufklären. Er trieb sich nämlich mit höchster Wahrscheinlichkeit immer noch im Distrikt herum. Was diesen Punkt betraf, fanden meine Frustrationen kein Ende. Wiewohl wir viele Alteingesessene fanden, kam keiner von ihnen als ernstzunehmender Verdächtiger in Frage. Entweder waren sie alte Vetteln, die sich in den zurückliegenden Jahren dem Zeugen ganzer Generationen gewidmet hatten, oder sie stellten sich als nachweislich saudumme Opas heraus, die gar nicht erst verstanden, was wir von ihnen erfahren wollten. Wieder andere teilten Blaubarts trauriges Schicksal und hatten von vornherein nicht die physischen Voraussetzungen gehabt, solche mit viel Energieaufwand und Geschick verbundenen Taten zu begehen. Zu meinem großen Ärger mu ß ten wir letztlich wieder auf Joker als den einzigen Tatverdächtigen zurückgreifen, was die ganze Sache abermals ins Reich des Unergründlichen und der schummerigen Annahmen rückte. Blaubart war noch mehrmals um das Porzellanhaus geschlichen, hatte sich bei Nachbarn umgehört und zeitweise sogar das Gebäude bewacht. Joker war jedoch immer noch wie vom Erdboden verschluckt, und die Hoffnung, da ß er jemals wieder auftauchen würde, wurde von Tag zu Tag geringer. Wer weiß, so dachte ich manchmal bitter lächelnd, während wir uns hier mit seiner mörderischen Vergangenheit abquälen, hat er sich vielleicht schon längst als blinder Passagier nach Jamaika abgesetzt und amüsiert sich dort mit eingeborenen Artgenossinnen.
Obwohl wir auf unsere Arbeit mächtig stolz waren und uns nur allzu gern vormachten, da ß wir durch das wissenschaftliche Vorgehen viel erreicht hatten, lauerte in unseren Hinterköpfen beständig das Gefühl des Versagens. Denn was hatten wir ganz objektiv betrachtet schon Entscheidendes erreicht? Meiner Meinung nach gar nichts! Wir hatten kein Mordmotiv, keinen Mörder, nicht einmal eine plausible Theorie. Wir tappten weiterhin im dunkeln, und immer, wenn irgendwo ein Streichholz angezündet wurde, redeten wir uns ein, da ß dieses kümmerliche Licht die Sonne sei. Es fehlte einfach der Kitt, der die zahllosen Scherben miteinander verbinden und so die wahre Form der antiken Vase zum Vorschein bringen würde.
Der Termin für die Zusammenkunft aller Revierbewohner wurde auf Heiligabend festgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt würden die Menschen genug mit den Feierlichkeiten beschäftigt sein, und wir konnten uns ihrer Kontrolle leichter entziehen. Als Versammlungsort wurde das verrottete erste Stockwerk unserer Villa Frankenstein bestimmt, ein Platz, den jeder kannte, weil hier die widerwärtigen Zeremonien stattgefunden hatten. Einen Tag zuvor zog Blaubart von Haus zu Haus und von Garten zu Garten und brachte die Einladung unter die Leute. Ein uneingestandener Wunsch von mir war es, da ß auf dem Höhepunkt des Treffens auch Joker auftauchen möge, so wie auch in jedem Agatha-Christie-Krimi der Unhold erscheint, wenn sämtliche
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