Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
gehabt hatte: Es handelte sich um den milchighell bepelzten und mittlerweile stark verschmutzten Leib eines Tieres, der durch den langen Aufenthalt im Wasser wie ein vollgesogener Wattebausch um das Doppelte seines Volumens aufgequollen war. Ich hatte es also mit einer Wasserleiche zu tun. Der Nachtmahr war aber durchaus noch steigerungsfähig. Der leblose Körper wies faustgroße, sehr tief ins Fleisch gehende und an Bombentrichter in Kleinformat erinnernde Wunden auf, die einfach zu zahlreich waren, um sie zu beziffern, und die vermutlich von Bissen herrührten. Da sich die Leiche in einem sehr fortgeschrittenen Verwesungsstadium befand und aus den dunkelrosa bis violett schimmernden Verletzungen kein Blut mehr floß, vermutete ich, daß der Tod bereits vor mehreren Tagen eingetreten sein mußte. Ergo hatte der Selige seinen Ausflug von einem sehr entfernten Punkt der Kanalisation, wahrscheinlich von außerhalb der Stadt, angetreten und war danach in den Verzweigungen des Labyrinths endlos herumgeirrt.
Dann passierte das, was ich schon seit geraumer Zeit befürchtet hatte. Wie bei der eleganten Geste einer Wasserballerina scherte plötzlich aus dem gepeinigten Korpus ein in der Mitte abgehackter Schwanz aus, und im gleichen Moment erkannte ich, daß es ein Vertreter meiner Gattung war, der da eine groteske Schwimmblase imitierte. Schauder und Panik explodierten in mir wie defekte Äderchen im Hirn. Unheimliche Mutmaßungen, durch welche Mißhandlungsmethode der Artgenosse eine Wandlung vom feingliedrigen Athleten zu einem aufs schwerste verstümmelten Fleischklops vollzogen hatte, beanspruchten mein ganzes Denken, und vergessen waren schlagartig alle meine eigenen Schmerzen. Mehr Aufschluß vor allem über die Rasse des Toten erwartete ich mir in Bälde, weil er unmittelbar an den Rand des Steinweges trieb, so daß die Möglichkeit bestand, im Verlauf seiner gemächlichen Rotation sein Gesicht zu sehen.
Dies entpuppte sich jedoch als der eigentliche Horror. Ja, die Leiche kam immer näher, streifte beinahe den Pier, kam so nah, daß ich sie fast berühren konnte. Und ja, sie drehte sich jetzt graziös wie eine losgelöste Seerose um ihre eigene Achse und offenbarte dabei ihre Vorderansicht, auf welche ausreichend Helligkeit fiel, um alles genau erkennen zu lassen. Aber Grauen über Grauen, da gab es nichts mehr zu sehen! Das, was wie ein über alle Erwartungen hinaus aufgegangener Kuchenteig aussah, besaß nämlich überhaupt keinen Kopf mehr. Das teure Stück war ihm einfach abgerissen worden, und aus dem Hals hingen jetzt nur noch schwarz gewordene Fleischfransen heraus, gleich Pflanzenarmen, die sich pittoresk ins Wasser neigten. Die Drehung der Leiche setzte sich fort, und ich erblickte das ganze Ausmaß der Greueltat. Es war von vornherein ein ungleicher Kampf gewesen, sozusagen der Kampf Davids gegen Goliath mit unbiblischem Ausgang. Der Überlegene hatte keinen Augenblick daran gedacht, dem Unterlegenen einen Gefallen zu tun und ihn nach guter alter Jägertradition mit einem einzigen Gnadenbiß zu exekutieren. Mit soviel Haß oder besser gesagt mit soviel perverser Lust am Quälen war der Schlächter aufgeladen gewesen, daß er sich einen Spaß daraus gemacht hatte, mit seinen Hauern ganze Stücke aus dem Opfer herauszuschnappen. Der Arme hatte vor Schmerzen und vollkommener Irritation gar nicht mehr gewußt, wie er sich verteidigen sollte. Das Ungeheuer sprang ihm dann an die Kehle und grub die Zähne tief hinein. Es riß mit derartiger Wucht daran, daß der Kopf schließlich, losgelöst von der Wirbelsäule, nach hinten klappte und nur mehr wie ein Deckel am rostigen Scharnier herabhing. Danach hatte der Mörder aus was für mysteriösen Gründen auch immer die Kostbarkeit entfernt und es irgendwie geschafft, den leblosen Leib der Kanalisation zuzuführen.
Angesichts so viel unvorstellbarer Bestialität blieb mir buchstäblich die Luft weg. Puuuh, dies Schreckensbild übertraf wahrhaftig all die Amputationsvisionen, die mir im Zusammenhang mit Francescas Nüsseprojekt vorgeschwebt hatten. Während die kopflose Leiche an mir vorbeikreiselte und wieder in die Dunkelheit hineinglitt, fragte ich mich, wer so etwas mit einer wehrlosen Kreatur angestellt haben könnte - und vor allen Dingen, warum. Wenn auch das Opfer seines Hauptes verlustig gegangen war und mir dadurch die Identifizierung seiner Rasse erschwerte, so konnte mein fachmännischer Blick doch anhand des außerordentlich deformierten Körpers
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