Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
riß den Kopf hoch, sperrte das Maul bis zum Äußersten auf, so daß die vier Fangzähne wie orientalische Dolche hervorblitzten, und stieß ein giftiges Fauchen aus. Das Ende der niedlichen Waldspitzmaus war somit besiegelt.
»Schon mal was von dem Schwarzen Ritter gehört, Kleiner?« griff ich im letzten Moment ein. Ambrosius' Todesfauchen blieb ihm schier im Halse stecken.
»Weniger gehört denn gesehen«, sagte die Maus putzmunter, meilenweit entfernt von der Erkenntnis, daß ich ihr soeben das Leben gerettet hatte. Erstaunlich, die schräge Figur hielt sich tatsächlich für unsterblich.
»Du hast ihn also oft gesehen?«
»Nicht so oft, wie manch andere hier im Wald ihn gesehen zu haben behaupten. Denn wäre es nicht ein Widerspruch in sich, wenn eine sagenumwobene Gestalt einem jeden Tag über den Weg liefe? Schnell wäre es dann aus mit der Legende. Doch ein Gerücht ist wie ein Klingelbeutel: Jeder fühlt sich genötigt, noch etwas dazuzutun. Irgendwann wird das Körnchen Wahrheit zur Lüge und die Lüge wiederum zur allgemeingültigen Wahrheit. Es stimmt, einigen Waldbewohnern ist der Schwarze Ritter hier und da begegnet. Doch die Begegnung fand immer nur aus der Ferne statt. Und niemand hat die blutigen Taten, die man ihm nachsagt, jemals beobachten können. Den Augenzeugenberichten zufolge hatte er sich stets an einem erhöhten Platz aufgebaut, geradeso, als wolle er dadurch seiner eigenen Legende neue Nahrung geben. Ich dagegen sah ihn aus kurzer Distanz ...«
»Wie er a-a-aussieht, wissen wir bereits«, sagte Ambrosius barsch. »Du scheinst wirklich für nichts anderes gut zu sein, als meinen Ba-Ba-Bauch zu füllen.« Damit öffnete er wieder das Maul und wollte zuschlagen.
»Moment, Ambrosius, warte noch eine Weile. Vielleicht hat er uns ja ein wichtiges Detail mitzuteilen. Okay, Zaches, du hast also den Schwarzen Ritter aus der Nähe gesehen. Wie sah er genau aus?«
»Nun ja, er sah halt aus wie ihr. Natürlich hatte er ein schwarzes Fell. Es war ziemlich struppig, so wie das Ihres unbelehrbaren Freundes, der an mir sein tadelloses Gebiß ausprobieren möchte. Eine Besonderheit besaß das Fell des vermeintlichen Unholds allerdings. Es glänzte so eigenartig, als habe es einen hohen Fettgehalt oder sei ganz einfach naß.«
»Da-Da-Darf ich jetzt endlich, Francis? Ich kann mir diese dämliche Fellwissenschaft nicht lä-lä-länger anhören.«
Jetzt war es Ambrosius, der mir auf den Geist ging. Weshalb bestand er auf der Ausübung seines Jagdinstinkts ausgerechnet bei unserem ergiebigsten Zeugen? Ich hätte einem Intellektuellen mehr Disziplin zugetraut. Sein kindisches Drängen ignorierend, fuhr ich mit der Befragung fort.
»Und was war mit der Dogge, Zaches?«
»Dogge?«
»Na der Hund, auf dem der Schwarze Ritter saß.«
»Tut mir leid, ich weiß weder was ein Hund noch eine Dogge ist. Wir leben einfach nicht so lang wir ihr, um alle Tiere zu kennen.«
»Aber er saß doch auf einem Tier?«
»Das schon. Und es war genauso schwarz wie der Schwarze Ritter.«
»Kannst du mir das Tier wenigstens beschreiben?«
»Tja, es war groß, viel größer als der Ritter selbst. Seine Klauen waren irgendwie hufartig. Und dann das Gesicht, wie soll ich sagen, geradezu sanftmütig wirkend, als besitze das Tier ein herzensgutes Wesen. Da fällt mir ein, ich habe so ein Tier schon einmal woanders gesehen.«
»Wo?«
»Ich kann mich nicht mehr so recht entsinnen. Das Langzeitgedächtnis ist bei uns viel schlechter entwickelt als bei Ihrer Art. Das liegt daran ...«
»Wo?«
»Lassen Sie mich überlegen. Es könnte sein ... Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Es graste in der Nähe eines Menschenhauses mitten im Wald ...«
»Es graste?«
»Ja. Da waren viele von der Sorte, eine Herde könnte man sagen. Allerdings trug von ihnen nur eines die Farbe Schwarz ...«
»Sch-Sch-Schluß mit diesem blödsinnigen Ge-Ge-Gerede!« schrie Ambrosius und schlug seine Zähne in die Waldspitzmaus ein, die ein klägliches Gejaule ausstieß.
Dann fiel ein Schuß.
Die Kugel schlug unmittelbar neben meinen Pfoten ein und sprengte fast die Hälfte des Hügels weg. Armer Zaches, jetzt war er nicht nur angebissen worden, sondern auch noch obdachlos geworden. Ich riß den Kopf panisch über die Schulter und schaute gebannt zum Hügel hinauf, weil ich instinktiv ahnte, daß die Bedrohung von hinten kam. Und tatsächlich, da stand er, auf dem Rücken des Hanges. Hochaufgeschossene Gestalt, rotschwarzkarierte Holzfällerjacke,
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