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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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Hinsicht unterstützt.«
    »Aber auf die Idee, Alraune in Fleischmatsch zu verwandeln, seid ihr ganz alleine gekommen, wie?«
    »Ja. Nach der Begegnung mit dir war sie wie verwandelt. Sie sagte, wir sollten ablassen von unserem verderblichen Tun, es wäre Sünde. Wir hielten dies für Verrat und brachten sie um. Die Leiche plazierten wir vor dem Waldhaus als Warnung an dich. Und als eine falsche Spur. Aber dann dachten wir über ihre Worte nach und erkannten die Ausweglosigkeit unserer Situation. Plötzlich kam es uns so vor, als wäre unser Blick die ganze Zeit von einer pechschwarzen Mauer versperrt gewesen. Mit deinem Auftritt bekam diese Mauer gewaltige Risse, und wir erkannten unsere unfaßbare Schuld. Nach und nach begriffen wir, was für grausige Monster wir inzwischen geworden waren und wie weit wir uns schon von der Unschuld des Tierreichs entfernt hatten. Das einzige, was uns mit den übrigen Tieren verband, war unser tierisches Aussehen, eine heimtückische Maske, hinter der sich bestialische Aussätzige und Bäche von Blut verbargen. Tiefste Scham empfanden wir bei dieser Einsicht, Francis, wir schämten uns so sehr. Deshalb wollten wir alles vergessen und alles, was diesem Vergessen im Wege stand, vernichten. Dich schickten wir zu dem Luchs, damit er dich auffressen sollte. Und um Ambrosius kümmerten wir uns selber. Wir wissen, es ist leicht, Ursachen für das Böse zu finden, mein Sohn, aber wir wissen jetzt auch, daß das Überleben nicht alles Böse entschuldigen darf. Wir haben unabtragbare Schuld auf uns geladen. Und du hast recht, Francis, wenn du uns verurteilst. Ich bitte dich nur zu bedenken, daß wir schon verurteilt waren, bevor wir deinen Artgenossen auch nur ein Haar gekrümmt haben.«
    Erneut standen mir die Tränen in den Augen. Ach, welch schwere Entscheidungen verlangte doch das Leben. Alles war so vertrackt. Der pure Lebenswille hatte himmelschreiendes Unrecht erschaffen, und aus wunderschönen Waldfeen waren morbide Scheusale geworden. Da hatte ich die Auflösung meines Kriminalfalles, die Lösung des Rätsels. Aber sie verschaffte mir keine Befriedigung, sondern ließ mich ganz im Gegenteil in Schmerz erstarren. Welche Fackel wir auch anzünden, dachte ich, und welchen Raum sie auch erleuchten mag, stets wird unser Horizont von tiefer Nacht umgrenzt bleiben. Denn die Lösung des letzten Rätsels der Welt müßte notwendig bloß von den Dingen an sich, nicht mehr von den Erscheinungen reden. Die Begriffe Gut und Böse schwanden dahin, und was zurückblieb, waren nur meine kleinen Gefühle. Trauer für die Opfer, Haß für die Täter, die wiederum Opfer waren, die man bemitleiden mußte, und so weiter und so fort, bis alles seinen Sinn verlor in diesem Tunnel ohne Licht am Ende, der auch die Welt genannt wurde.
    Ich spürte, daß mich die Geschehnisse verändert hatten. Francis war nicht mehr derselbe wie vor seiner Flucht. Deshalb verspürte ich keine Lust mehr, zu Gustav zurückzukehren und ein bequemes Leben mit verschlossenen Augen zu führen, damit ich all das Leid, das vor der Haustüre geschah, nicht sehen mußte. Gleichzeitig überkam mich tiefster Ekel vor denjenigen, die man blauäugig als »die unschuldigen Tiere« titulierte. Unschuldig war ein Stein oder ein Kleeblatt, aber kein Lebewesen. Wir waren alle schuldig, ohne unser Zutun, allein deshalb, weil wir auf dieser Welt waren, einander brauchten, wegstießen, liebten und töteten. Nein, ich wollte mich abwenden von dieser unbegreiflichen Welt und mich mit einem Eremitendasein zufrieden geben. Ich wünschte mir nur noch, in die Höhle des Luchses zurückzukehren und dort in aller Bescheidenheit den verbleibenden Rest meines Lebens zu verbringen.
    Doch ein nüchterner Blick auf die Umgebung ließ mich an der Verwirklichung der angestrebten Einsiedelei stark zweifeln. Plötzlich merkte ich, daß mein gegenwärtiger Aufenthaltsort haargenau dem Schauplatz aus der Todesvision glich: der Acker, der sich bis ins Unendliche zu erstrecken schien; der Vollmond, dessen silbrige Strahlen lediglich von schwarzen Wolkenvagabunden unterbrochen wurden. Mein Gott, jetzt war es soweit. Ich würde durch Hunderte von Krallen zu einem blutigen Klumpatsch verarbeitet werden. Was für ein Abgang!
    Diese Befürchtung wurde wiederum schon im nächsten Augenblick im Keime erstickt, als die Wilden etwas völlig Unerwartetes taten. Zunächst Aurelie und dann alle ihre Stammesschwestern begannen wie auf ein Zeichen langsam rückwärts zu gehen.

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