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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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der blutende Francis nur mehr wie ein winziger Punkt wirkte. Während ich mit der geruhsamen Geschwindigkeit eines Heißluftballons zum Himmelsdom abhob, sah ich noch, wie Diana aus der Dunkelheit auftauchte und mit gesenktem Gewehr quer über das Feld zur Leiche schritt.
    Trotz der Entfernung erkannte ich das fragende Glühen in den aufgerissenen Augen meines körperlichen Gegenstücks. Francis schaute mich durchdringend an. Na los, entscheide dich endlich, Kumpel, schien er zu sagen, laß mich hier nicht hängen! Ich überlegte. Das Schweben glich einem Schlaf bei vollem Bewußtsein, wohltuend und ekstatisch zugleich. Die Welt da unten war ein finsterer Fleck voller sich sinnlos bekämpfender Krieger in einem ungerechten Krieg, an dessen Ende weder ein Sieg noch der Frieden in Aussicht standen. Und doch ... Da gab es ein paar Knoten, die ich noch gerne entwirrt hätte, ein paar Dinge, die ich noch gerne ausprobiert hätte, ein paar Lebensabschnitte, die ich noch gerne gelebt hätte ...
    Nein! Was vorbei war, war vorbei. Leben, ich lasse dich los und wende mich ab von dir! schrie ich, und so wie dieser Schrei in den Weiten des Himmels verklungen war, konnte ich nicht nur stur nach oben schweben, sondern mit der Selbstverständlichkeit des Glücklichen im Traum in alle Richtungen fliegen. Ich überflog den armen, toten Francis, der bei Lichte besehen ein ziemlich doofes Ende gefunden hatte, flog über Äcker und Wiesen hinweg, Kapriolen schlagend und mit allen ausgestreckten Pfoten atemberaubende Flugmanöver vollführend. Mit unglaublicher Geschwindigkeit raste die Erde unter mir vorbei und zeigte mir noch ein letztes Mal all die, die eine Bedeutung für mich gehabt hatten. Ich sah die Wilden, wie sie im anbrechenden Morgengrauen stumm und bedächtig in die nördlichen Wälder wanderten. Ich segelte herunter, streifte sie beinahe, und sie hoben alle gleichzeitig ihre Köpfe in die Höhe und lächelten bitter, als spürten sie meine Seele in ihrer Nähe. Doch der rasante Flug erlaubte keinen Halt. Viele Kilometer weiter erblickte ich in einer felsigen Landschaft Acht, den Luchs, den es ebenfalls nach Norden zog, und ich wünschte mir so sehr, daß er noch über genügend Kräfte verfügen möge, um die Arktis zu überqueren und sein geliebtes Kanada zu erreichen. Als er meine spirituelle Anwesenheit bemerkte, blieb er stehen, schaute auf und lächelte ebenfalls, aber keineswegs schmerzlich wie die Wilden, sondern so wie man einem Fliegerkameraden begeistert zulächelt, dem in den Lüften ein besonders tollkühnes Kunststück gelungen ist.
    Ich verabschiedete mich schweren Herzens von ihm und nahm Kurs auf den Wald. Das Rot der Morgendämmerung verwandelte diesen gezähmten Dschungel in ein grandioses Flammenmeer, auf dessen helleuchtendem Grund man seine emsigen Bewohner erkennen konnte. Gewöhnlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, jetzt aber erfaßte mein Blick jeden einzelnen von ihnen mit unvorstellbarer Schärfe. Ja, sie waren alle da, die Wolfsspinnen, die Waldgrillen, die Weinbergschnecken, die Nashornkäfer, die Hornissenschwärmer, die schwindelerregend vielfältigen Arten von Schmetterlingen, die Wespen, die Feuersalamander, die Laubfrösche, die Zauneidechsen, die Blindschleichen, die Igel, die Fransenfledermäuse, die Wildkaninchen, die Biber, die Siebenschläfer, die Gelbhalsmäuse, die Dachse, die Waschbären, die Baummarder, die Wildschweine und die Rehe. Und über ihnen, mir gewissermaßen ihre Dienste als Fluglotsen anbietend, schwärmte die Luftflotte des Waldes, bestehend aus Mäusebussarden, Habichten, Baumfalken, Waldschnepfen, Turteltauben, Uhus, Waldohreulen, Ziegenmelkern, Buntspechten, Zaunkönigen, Nachtigallen, Rotkehlchen, Amseln, Blaumeisen, Finken, Staren und Kolkraben. Ihr Anblick erfüllte mich mit einem Gefühl tiefer Freude, und ihnen allen und jenen, die meinen aufgeregten Augen entgangen waren, wünschte ich nur eins: alles Glück dieser Erde!
    Dann überflog ich das Waldhaus, in dem sich zwar Ambrosius' Leichnam, aber längst nicht mehr seine Seele aufhielt. Diese würde ich in Bälde in freundlicheren Gefilden wiedertreffen und mit ihr leidenschaftliche Diskussionen über Spiritismus führen. Klar, daß ich dabei den kürzeren ziehen würde, weil mir Ambrosius in dieser Disziplin bereits im Leben viel voraus gehabt hatte. Nachdem ich den riesenhaften Auswilderungskäfig, der wohl durch den Okkupationsdrang der Pflanzen irgendwann tatsächlich eine Einheit mit seiner Umgebung

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