Felidae 4 - Das Duell
Sekunde der Tod auf die Pelle rücken konnte, hatte ich in meinem ganzen Leben keine fröhlichere Gesellschaft gesehen. Sie rieben nach alter Sitte ihre Nasen aneinander und miauten erleichtert. Jeder Tag Leben, jede Stunde Leben, jede Minute Leben verdiente es, geschützt und gefeiert zu werden. Und wenn sich diese betagten Artgenossen, mochten sie ihre Zeit auch bald harfespielend im Himmel verbringen, noch über das bißchen Rest ihres Lebens freuen konnten, so konnte ich es erst recht.
Auch Adrian schien zu demselben Schluß gekommen zu sein, als er seine Nase an meine rieb und sagte: »Weißt du, Francis, ich habe es mir überlegt. Es kann einfach nicht sein, daß ich zu der Gruppe der Versuchstiere gehöre. Ich muß Agatha als Baby-Adrian zugelaufen sein. Denn erstens bin ich viel schöner, intelligenter und um einiges potenter als diese alten Knacker, und zweitens habe ich gehört, wie Gromyko sich einmal bei Agatha beschwert hat, daß er bei seinen Untersuchungen langsam durcheinander komme bei den vielen Zugelaufenen.«
»Das hast du gehört?«
»Ich glaube , daß ich es gehört habe.«
»Und das reicht dir?«
»Eigentlich nicht. Aber man kann doch dem Schicksal einfach seinen Lauf lassen, vergessen und das Leben genießen?«
Er zwinkerte mir zu und lächelte spitzbübisch.
Plötzlich vernahmen wir hinter uns einen schrecklichen Lärm. Wir drehten uns um und blickten den Hügel hinauf. Oben in der Manufaktur schossen die Bleiglasfenster in unzähligen Teilen aus ihren riesigen Rundbogenfassungen heraus, gefolgt von noch riesigeren Feuerballen und Holz-, Stein- und Glassplittern. Das Gebäude würde bis auf die Fundamente niederbrennen, Gott sei's gedankt, ohne daß der Funkenschlag bei der großen Entfernung eine Chance gehabt hätte, unser Revier zu erreichen. Ich dachte an Fabulous und ihren merkwürdigen Familiensinn. Sie mußte ihren Sohn sehr geliebt haben. Und auf eine verdrehte Art und Weise auch Maximilian. Natürlich hatte sie sich nicht dagegen wehren können, daß man ihr eines ihrer Eier abnahm und damit die unmögliche Verschmelzung von Mensch und Tier möglich machte. Aber ich hatte das Gefühl, sie war mit der Sache insgeheim einverstanden und vielleicht sogar ein bißchen stolz darauf gewesen. Nun war sie ihrem eigenen Traum gefolgt, dorthin, wo alle Träume enden und beginnen.
»Ach übrigens, Francis«, meldete sich die Nervensäge wieder zu Wort. »Ich gedenke im folgenden Frühjahr auf Brautschau zu gehen. Wenn du mir dazwischenfunken solltest, ist auf der Stelle Schluß mit der frisch erblühten Freundschaft. Verstanden? Außerdem bist du ein abgrundtief häßlicher alter Sack und hast in diesen Gefilden sowieso nicht mehr viel zu melden ...«
Ich schüttelte den Kopf und gab das Zeichen zum Aufbruch. Wir alle liefen langsam den Hügel hinunter, während im Hintergrund die Manufaktur wie ein wütendes, aber zahnlos gewordenes Ungeheuer ausbrannte. Die Sterne leuchteten uns heim. Wo mein Heim war, war klar. Aber wo würden all diese obdachlos gewordenen Brüder und Schwestern in den nächsten Wochen unterkommen, bis sich Menschen mit Herz ihrer annehmen würden? Ich hatte eine fabelhafte Idee. Allerdings mochte ich dabei ungern an Gustav und sein fassungsloses Gesicht denken, wenn er gleich den ganzen tatterigen Haufen vor dem Toilettenfenster erblicken würde.
Aber irgendwie ging es ja immer weiter. Und eigentlich war es ja am Ende immer gutgegangen Das Schönste am Leben war doch die Normalität. Eine tiefe Zufriedenheit bemächtigte sich der Seele des normalen kleinen Spießers namens Francis, der sich trotz allem auch diesmal wieder wie verrückt auf Weihnachten freute. So zufrieden fühlte ich mich mit einem Mal, daß mir nach Singen zumute war. ( 7 ) Also fing ich an zu singen, und nach einer Weile stimmten die anderen in diesen Gesang ein, sogar Adrian, die drahthaarige Nervensäge. Während unter dem frostigen Sternenhimmel unser gutes altes Revier langsam näherrückte, erscholl es aus allen Kehlen:
Somewhere over the rainbow
Blue birds fly
Birds fly over the rainbow
Why, oh why can't I?
Where troubles melt like lemondrops
Way upon the chimney tops
That's where you'll find me
Somewhere over the rainbow
Blue birds fly
Birds fly over the rainbow
Why, oh why can't I?
Anhang
l . Es ist ein verbreiteter Irrtum, daß Kälte, Frost und Witterung einer Katze nichts anhaben können, weil ihr samtenes Fellkleid sie zuverlässig vor
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