Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
Staub. Dieses Verhalten machte den Seelenforscher nach einer Weile so neugierig, dass er dem Vierbeiner eines Montags kreuz und quer über das Gelände der Universität folgte. Die Nachstellung endete am Eingang zur Frauenklinik, wo der Kater zwei volle Stunden lang wie gefesselt durch das Fenster in einen beleuchteten Raum hineinstarrte. Der Professor fand schließlich den Grund für das seltsame Verhalten. Um Punkt 19.45 nun begannen die Frauen im Aufenthaltsraum der Klinik mit ihrem wöchentlichen Bingospiel, dem der Kater bis zum Ende fasziniert beiwohnte.
Das Gefühl für den Lauf der Zeit ist für das Überleben in der freien Wildbahn von entscheidender Bedeutung. Wilde Katzen müssen sehr genau abchecken, wann sie auf die Pirsch gehen und wann sie das Feld der (körperlich überlegenen) Konkurrenz überlassen. In der Natur müssen Katzen ihren »Stundenplan« auch mit dem Lebensrhythmus der Kreaturen synchronisieren, die dem knurrenden Magen Befriedigung verschaffen. Hauskatzen schließlich sind darauf angewiesen, das Zeit-Management ihrer Versorger in ihre Aktivitäten mit einzukalkulieren. Der »Sinn« für Zeit bedeutet in der Natur meistens, dass dem Organismus ein biologischer »Taktgeber« zur Verfügung steht, den er als Maßstab für die verflossene Zeit benutzen kann. Der Körper
der Säugetiere erzeugt eine Menge stetig wiederkehrender Oszillationen, so etwa den Puls des Herzens oder die rhythmischen Entladungen bestimmter Nervenzellen. Es gibt allerdings nicht den geringsten Hinweis darauf, welche schwingenden Bio-Signale die Katze für ihre Zeitmessung heranzieht.
Es wäre indes übereilt, sofort hellseherische Fähigkeiten wie »Präkognition« zu vermuten, wenn Katzen von seltsamen »Vorausahnungen« geplagt werden. Es wird immer wieder berichtet, dass die Tiere mit bizarrem und nervendem Verhalten zu erkennen geben, dass sie den »sechsten Sinn« für gewisse bevorstehende Ereignisse (z. B. eine geplante Abreise oder die baldige Geburt eines Babys) besitzen. Katzen beobachten uns äußerst sorgfältig, und die Verlässlichkeit unseres Lebensrhythmus gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Man kann sich ohne große Spekulationen vorstellen, dass die Tiere schon bei den geringsten Unstimmigkeiten und Abweichungen von der Routine »Lunte riechen« und ihren Frust mit allen gebotenen Mitteln an die große Glocke hängen.
Es ist übrigens sehr unwahrscheinlich, dass Katzen – oder überhaupt irgendwelche Tiere – die Fähigkeit besitzen, wie der Mensch eine mentale Zeitreise zu unternehmen und die Vergangenheit (das Gestern) vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen oder sich die Zukunft (das Morgen) vorzustellen. So unternehmen Schimpansen lange Expeditionen, um an Granitsteine zu kommen, die sie als Nussknacker einsetzen. Wenn sie satt sind, lassen sie aber das wertvolle Werkzeug achtlos am Boden liegen – ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass das Utensil ihnen
auch morgen nützlich sein könnte. Cebusaffen, die tagsüber hungerten, bekamen abends mehr Kekse serviert, als sie verdrücken konnten. Sie stopften die Leckereien in sich hinein. Was übrig blieb, wurde als Spielzeug verwendet und verschwendet. Dass ihnen die zerbröselten Reste am nächsten Tage fehlen würden, kapierten sie nicht. Menschenaffen bereiten sich für ihre Abendruhe ein kunstvoll geflochtenes Nest aus Ästen und Blättern in den Wipfeln der Bäume. Dabei ist ihnen wahrscheinlich nicht im Entferntesten bewusst, dass sie am folgenden Morgen wieder aufwachen werden.
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Gegen Ende des Mittelalters schlug in Europa die bis dato vorherrschende Wertschätzung für die Katze als Mäusejäger auf einmal in das Gegenteil um. Vor allem die christlichen Geistlichen sahen in der Katze, die als Symbol für heidnische Gottheiten hohes Ansehen genossen hatte, ein Abbild des Satans. Die Katze wurde zur Verkörperung des Bösen und in Verbindung mit Hexen und Magie gebracht. Die Hexenjäger der Inquisition brachten das Gefunkel im Katzenauge mit dem Widerschein des Höllenfeuers, mit Spuk und mit schwarzer Magie in Zusammenhang und warfen in erster Linie schwarze Katzen auf die gleichen Scheiterhaufen, auf denen bereits die vermeintlichen Hexen geröstet wurden. Damals war auch die Wahnidee verbreitet, Hexen könnten problemlos in die Gestalt einer schwarzen Katze schlüpfen, um so ungestört ihren finsteren Machenschaften zu frönen. Jeder, der eine Katze besaß, musste fürchten, mit Hexerei in Verbindung
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