Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
wohl im Supermarkt eingekauft haben. Es wurde lauter auf der kleinen Einkaufsmeile, es wurde lebendiger. Zwischen dem Biogemüse- und dem Seifenstand erschien eine vermummte Gestalt. Ein paar der Passanten drehten sich verstohlen um. Der dunkle Schatten passte so gar nicht in das bunte Treiben.
Die geheimnisvolle Figur hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, den Hut tief ins Gesicht gezogen, zusätzlich bedeckte einen schwarzer Schal Mund und Nase. Zwei traurige Augen funkelten wie verlöschende Kohlen in der Glut. War das ein hochrangiger Geheimdienstchef einer feindlich gesinnten Macht? Der entstellte Elefantenmensch auf Freigang?
»Also jetzt einmal im Ernst, Hölli«, sagte Polizeiobermeister Johann Ostler zu seinem Kollegen, »wie ist das jetzt mit deiner Allergie? Dass die von einem Kirschkuchen gekommen ist, das stimmt doch nie und nimmer! Du magst doch gar nichts Süßes.«
»Gut, ich gebe es zu«, sagte Hölleisen und lockerte den Schal um den Mund etwas. »Die wahre Geschichte ist die, dass ich mir die Haare färben lassen wollte, weil ich schon die ersten grauen Strähnen bekommen habe. Ich habe mirs im
Salon Hairbert
machen lassen, vom Hairbert persönlich. Ja, und auf das Färbemittel muss ich dann irgendwie allergisch reagiert haben.«
Das klang plausibel für das ganze Polizeiteam. Auch Johann Ostler war zufrieden damit. Franz Hölleisens Frau, die dabeistand, lächelte jedoch wissend. Britta Hölleisen kannte die wahre Geschichte.
Von wegen Haarefärben. Ihr Mann entstammte einer alten Jäger- und Metzgerdynastie. Franz hatte einen genetischen Defekt von seinem Vater und seinem Großvater geerbt. Sie litten allesamt an einer Allergie gegen eine bestimmte Kette von Eiweißmolekülen, die in dieser Kombination in einer einzigen Speise enthalten ist. Eine fatale Geschichte: Die Hölleisens, die die besten Weißwürste im Voralpenland herstellten, hatten allesamt seit jeher eine Weißwurstallergie, aßen deshalb selber nie welche. Wie peinlich! Franz Hölleisen aber hatte es vor zwei Wochen, an seinem runden Geburtstag, nicht mehr ausgehalten. Er hatte einmal in seinem Leben eine probieren wollen. Doch schon nach einigen wenigen genussvollen Bissen hatten sich die ersten Quaddeln und Pusteln gebildet, die er jetzt mit dem Schal zu verdecken versuchte.
Aber dieses Geheimnis behielt er für sich. Er ließ lieber den Kirschkuchen- oder Haarfärbe-Spott über sich ergehen als die Schande einer Weißwurstallergie zu ertragen – als bayrischer Metzgerssohn.
Motte Viskacz, der bei seinen Freunden stand, hatte jedoch an einem noch größeren Geheimnis zu knabbern.
Das kennt jeder: Man geht auf der Straße, und jemand steckt einem einen Zettel zu, auf dem ein Rezept für die Auslöschung der Menschheit geschrieben steht. Oder die heilige Kabbala-Zahl, die nach der Überlieferung gleichzeitig Gottes Name ist und deren Nennung das Ende der Welt bedeutet [4] . Oder man bekommt einen Zettel mit einem Tipp für den perfekten Mord. Klar macht man von alledem keinen Gebrauch. Man zerreißt den Zettel vielleicht sogar und wirft ihn in den nächsten Mülleimer. Aber die Wucht der Information belastet in der Folge schwer. Wenn man wütend oder genervt ist, wenn in einer Supermarktwarteschlange gar nichts mehr weitergeht, dann ist man manchmal nahe dran, die Kabbala-Zahl zu rufen.
»Zwei hoch –«, setzt man an.
Alle drehen sich um, man lässt es dann meistens doch.
Motte Viskacz war in derselben Lage. Den Originalvertrag des FAVOR CONTRACTUS hatten die Polizisten vermutlich sichergestellt. Aber er hatte eine digitale Kopie davon gemacht. Was sollte er nun damit anfangen? Er war ein kleiner Hacker, der mit seinen Erlösen kommunale Projekte unterstützte, der das Geraubte an Kindergärten und die
Tafel
weitergab. Andererseits könnte man mit solch einem Druckmittel natürlich auf einen Schlag –
»Na, Motte, schon wieder in anderen Welten unterwegs?«, flötete Mona Gudrian, die sich vor ihm aufgebaut hatte. Diese Mona ließ ihn nicht in Ruhe.
»Haben Sie damals eigentlich je eine Schulstrafe bekommen, Chef?«, fragte Nicole.
Jennerwein lachte.
»Ja, ein einziges Mal. Einen Verweis. Wir mussten eine Hausarbeit bei Physiklehrer Fellner machen. Fellner war der Allerletzte. Langweiler, schlechter Erklärer. Wenn man mal was wissen wollte, explodierte er. Seine Frage war, wie der derzeitige Hochsprungrekord der Männer auf dem Planeten Jupiter lauten würde.«
»Eine leichte Aufgabe!«, rief der
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