Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0
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VORWORT
Erkenntnis Nummer eins: Mein Leben kommt hervorragend ohne mich zurecht. Die Miete wird automatisch abgebucht, Zeitschriften-Abos verlängern sich von alleine, mein Festplattenrecorder nimmt jede Folge «Boston Legal» auf – alles ohne mich. Und jedes Jahr erfindet Apple ein neues Gerät, das eine der letzten Funktionen, die ich noch hatte (Karten lesen, Zugverbindungen finden, Musikstücke erkennen) automatisiert. Das ist es dann wohl, das Leben 2.0 – mein Leben ohne mich.
Nicht mal, wenn irgendwas schiefläuft, werde ich noch gebraucht. Wenn zum Beispiel der Internetzugang in meiner Wohnung nicht funktioniert und ich ergebnislos an allen Kabeln rüttle, alle Stecker aus- und wieder einstecke und den Rechner drei Mal neu starte, blinken mich mein Modem und mein Router gelangweilt an, als wollten sie sagen: «Das ist sehr süß von dir, aber ganz ehrlich: Du störst hier eher. Geh doch lieber draußen spielen, ja?»
Deswegen sitze ich seit Wochen in meinem Campingbus an der Ostsee und schreibe an diesem Buch über meine Welt zwischen Biomarkt und App Store. Eine Art «Handbuch des modernen Großstadtlebens – mit 1000 tollen Tipps zur souveränen Gegenwartsbewältigung». Nur ohne die Tipps. Wenn ich die hätte, säße ich ja nicht hier.
In dem Campingbus dagegen gibt es exakt 10 Knöpfe, die alle jeweils genau
eine
Funktion haben: Wenn ich die Wasserpumpe anstelle, kommt Wasser, wenn ich die Heizung aufdrehe, wird’s warm, wenn ich sie wieder abstelle, wird’s kalt – und ich darf ganz allein entscheiden, wann das alles passiert. Camping ist quasi eine Beschäftigungsmaßnahme für Großstadt-Idioten, die von Apple, selbstreinigenden Backöfen und wartungsfreien Pflanzenbewässerungssystemen outgesourct wurden.
Bin mal gespannt, ob mein Leben irgendwann anruft und sagt: «Mensch, kannste nicht mal vorbeikommen? Hier geht’s drunter und drüber ohne dich.» Aber ganz ehrlich: Drauf wetten würd’ ich nicht.
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UNTER KIRMES - PONYS
Der Sportstudent im weißen Polohemd schaute zwei Minuten auf den Computer-Ausdruck in seiner Hand, zog grübelnd die Stirn in Falten und sagte dann zu mir: «Dein PVM -Wert beträgt 24.» Er reichte mir den Zettel, und ich las, was darauf stand. Es war nur ein Satz: «Ihr PVM -Wert beträgt 24.» Eigentlich wollte ich fragen, warum er dazu so lange auf den Ausdruck hatte starren müssen, ich brachte aber nur ein erschöpftes «Aha» heraus.
Ich hatte mir nämlich zuvor 30 Minuten lang auf einem Trimm-dich-Rad im Hinterzimmer meines neuen Fitness-Studios einen Wolf gestrampelt. Das Ganze nannte sich «Einstufungstest», und das muskelbefüllte Polohemd hatte mir dazu eine Elektrode ans Ohr geknipst und eine an den Finger und mich dann mit «Hopphopp, nicht einschlafen!» angefeuert und anderen Sätzen, die ich seit dem Achte-Klasse-Zirkeltraining nicht mehr gehört hatte. Während der gesamten Zeit auf dem Rad hatte ich auf den großen Schriftzug an der Wand gestarrt: FEELING HEALTHY . FEELING GOOD . Das war der Slogan des Studios, in dem ich gerade einen Vertrag unterschrieben hatte. Eine halbe Stunde lang dachte ich mir: Was für ein Zynismus! Wenn ich mich «healthy» und «good» fühlen würde, müsste ich nicht ins Fitness-Studio rennen, meinen PVM -Wert messen und mich von Sportstudenten demütigen lassen, sondern würde mit nacktem Oberkörper am Baggersee liegen. Viagra wirbt ja auch nicht mit dem Slogan FEELING HORNY . FEELING HARD .
Der Student nahm ein Clipboard und ging zur Tür: «Dann stellen wir dir jetzt mal einen Trainingsplan zusammen.»
«Moment», sagte ich, weil ich allmählich wieder Luft bekam. «Jetzt lass uns doch erst mal über meinen PVM -Wert reden. 24 – ist das gut?»
Er blieb an der Tür stehen und zuckte die Schulter. «Besser als 25.»
«Aha», sagte ich wieder. «Was heißt PVM überhaupt?»
Er zuckte wieder die Schulter: «Is halt so ’n Fitness-Test. Was es genau heißt, müsste ich nachschauen. Hat außer dir noch keinen interessiert.» Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören.
«Okay, dann sag mir wenigstens, was du für einen PVM hast.»
«Seh ich aus, als müsste ich so ’nen Test machen?», lachte er, und wie zum Beweis hüpften seine Brustmuskeln fröhlich auf und ab.
Bei dem anschließenden Rundgang durch das Studio habe ich fünf wertvolle Lektionen fürs Leben gelernt:
Geräte-Training ist exakt so langweilig, wie es aussieht.
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