Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Stahlbeton, ihre Miene veränderte sich keinen Millimeter. Sie drehte die starre Fratze langsam herum und ließ ihren Cyberblick in kleinen ruckartigen Bewegungen über die Wanderer schweifen. Die mechanische Künstlichkeit, die maschinenhafte Präzision der Kopfdrehung verschlug allen den Atem. Mancher begriff erst nach und nach, dass die Gestalt eine Kapuzenmaske aus Kunststoff trug. Auf dem Schoß der schrecklichen Maskenfrau lag eine kompakte Maschinenpistole. Das schwarze, ölig glitzernde Auge der Laufmündung schien alle böse und unheilverkündend anzuglotzen.
Die Geisel, die der Frau am nächsten saß, trug eine verwitterte Joppe und eine abgetragene Kniebundhose. Aus dem braungebrannten Gesicht leuchteten helle, bewegliche Augen. Der graue Bart wirkte frisch gestutzt, der Mann war rundherum eine sympathische Erscheinung. Jetzt war er starr vor Entsetzen. Die anderen Teilnehmer der Wanderung befanden sich hinter ihm, fünf Meter vor ihm hatte sich die maskierte Gestalt auf den Felsen gesetzt. Der Bärtige war immer noch fassungslos, wie das hatte passieren können. Am Anfang hatte er den Tumult und das wilde Gekreische gar nicht so richtig ernst genommen. Doch jetzt saß da einer auf dem Stein und bedrohte sie mit einer echten Waffe. Wie um Gottes Willen hatte das geschehen können? Der Bärtige versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er war sich sicher: Die bewaffnete Gestalt dort auf dem Felsbrocken war ein Mann. Die Körperhaltung und auch der Gang deuteten darauf hin. Es war ein Mann, der eine Frauenmaske trug. Genauer gesagt, eine Lady-Gaga-Maske aus dem Faschingsbedarf, was der Gestalt noch einen Tick mehr absurde Gefährlichkeit gab. Denn die Waffe auf Lady Gagas Schoß war kein Karnevalsrequisit. Das konnte der Bärtige erkennen. Er war beim Bund gewesen. Er konnte die zweieinhalb Kilo schwere russische Bison PP - 19 von einer wesentlich leichteren Nachbildung durchaus unterscheiden.
»Man kann es daran erkennen, wie die Waffe gehalten wird«, hatte ihnen ihr Ausbilder bei der Bundeswehr erklärt. Ein paar heftige Windstöße fegten über den Gipfel, der Kidnapper wartete sie regungslos ab und führte das Megaphon langsam zur Mundöffnung der Maske. Der Bärtige schloss die Augen und lauschte angestrengt, ob er die Stimme erkannte. Fehlanzeige. Man konnte die Stimme auf diese Weise nicht identifizieren. Panik stieg in ihm auf. Es war doch so ein lustiger Ausflug gewesen. Und dann hatte er solch eine grauenvolle Wendung genommen.
»Ich weiß, dass ihr euch jetzt fragt, wer ich bin. Und ob ihr diese Stimme schon mal gehört habt!«, tönte es wie zum Hohn aus dem Megaphon. »Ihr werdet es nicht herausfinden, strengt euch also gar nicht erst an. Haltet euch an das, was ich gesagt habe: Alle gucken nach vorne. Niemand nimmt Kontakt zum anderen auf. Ihr bleibt einfach so sitzen, wie ihr jetzt sitzt, und wartet auf weitere Anweisungen. Wenn jemand aus der Reihe tanzt, dann spricht Lady Gaga Nummer zwo.«
Er hob die Bison in die Höhe und schwenkte sie über die Sitzenden, die sich instinktiv duckten. Manche schrien wimmernd auf.
»Für diejenigen unter euch, die keine Ahnung von Waffen haben: Das da in meiner Hand ist eine russische Bison PP - 10 - 9 !«
Er sprach die Waffenbezeichnung langsam und drohend aus.
Pe! Pe! Zehn! Neun!
Jede Silbe ein Pistolenknall.
»Sechshundert Schuss in der Minute sind kein Problem für sie. Und das reicht für alle hier.«
Der Geiselnehmer erhob sich von seinem Stein, stapfte zum Gipfelkreuz, öffnete den hölzernen Aufbewahrungskasten für das Gipfelbuch, nahm einen Stapel Masken heraus und hielt sie in die Höhe.
»Jeder von euch streift sich jetzt so ein Ding über. Und ich sag es nochmals: Niemand von euch spricht. Niemand macht Zeichen. Niemand sieht sich um. Niemand macht
irgendetwas
.«
Er sprang vom Felsen, ging ein paar Schritte in Richtung der Geiseln und warf jedem von ihnen eine Maske vor die Füße. Der Bärtige wunderte sich. Warum legte der Gangster solchen Wert darauf, dass sie sich nicht ansahen? Er spähte nach hinten. Dort saßen zwei seiner Freunde, die sich gerade in Lady-Gaga-Doubles verwandelten. Wo war der Gangster hergekommen? Hatte er sie hier oben erwartet? Hatte er sich auf dem letzten Wegstück, das kurvig und unübersichtlich war, unter sie gemischt? Oder – und jetzt erschrak er zutiefst – war er womöglich die ganze Zeit dabei gewesen, und war er infolgedessen einer von ihnen?
»Und nun zum Sinn dieser
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