Ferdinand Graf Zeppelin
Boden gerissen hatte, unaufhaltsam über die Ebene davon trudelte. Genau auf dieses Dorf dort vorne am Horizont, dessen Kirchturm sich schon wie ein bedrohliches Menetekel vor den Augen des entsetzten Monteurs abzeichnete.
Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn der mit 15.000 Kubikmetern Wasserstoffgas gefüllte Schiffskörper auf eines der Häuser prallte und explodierte! Eine Katastrophe, bei der es Tote und Schwerverletzte geben würde! Es gab nur eine einzige Chance, den Zusammenstoß zu verhindern: er musste es schaffen, Gas abzulassen! Aber dafür musste er dieses Wagnis auf sich nehmen, irgendwie die vordere Gondel zu erreichen. Trotz der unberechenbaren Schlingerbewegungen des LZ 4. Trotz der Lebensgefahr, in die er sich damit begab. Doch es musste sein, um noch viel Schlimmeres abzuwenden.
Schwarz schluckte schwer und schloss ganz kurz die Augen, um das in seinem Körper aufsteigende Angstgefühl zu verdrängen, das ihm beinahe den Atem raubte, dann nahm er seine ganze Konzentration zusammen und hangelte sich entschlossen über den Laufsteg, um durch den Verbindungsgang zur vorderen Gondel vorzustoßen. Es schien ihm eine halbe Ewigkeit vergangen, bis er endlich an die offene Rückseite der Gondel gelangte, wo er jetzt mit seiner rechten Hand fest den hölzernen Brüstungsrand umklammerte, um sich danach mit einem großen Schritt endlich in den Kommandostand zu schwingen. Hektisch blickte er sich um und fluchte dabei leise, als er die zahlreichen Seile in sein Visier nahm, die vom Schiffsrumpf herunter baumelten. Aber bei welchen handelte es sich um die Gaszüge? Normalerweise befand er sich bei einer Fahrt mit dem Luftschiff in der hinteren Gondel. Dort vorne waren für gewöhnlich die Plätze von Graf Zeppelin, Luftschiffkapitän Lau und Oberingenieur Dürr, neben denen hatte am Morgen bei der Landung noch Freiherr von Bassus, der Experte für Fluggase, gestanden. Welches waren die verdammten Gaszüge?!
Da! Es konnten eigentlich nur diese mit den braunen Holzgriffen sein. Und falls nicht? Dann freilich …
Egal! Ein kurzer Blick aus der Gondel ließ seinen Herzschlag stocken: Der Kirchturm war bereits deutlich größer geworden! Keine Zeit mehr zum Überlegen! Entweder – oder!
Energisch packte Schwarz mit beiden Händen so viele von den hölzernen Griffen der Ventilzüge, wie er nur konnte und zog sie aus Leibeskräften nach unten. Tatsächlich! Es klappte. Deutlich konnte er nun das scharfe Zischen hören, mit dem das Wasserstoffgas durch die Ventile aus den Gummimembranen der Gaszellen entwich. Gott sei Dank! Erleichtert schnaufte Schwarz durch, während er die Griffe weiter krampfhaft drückte.
Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis das Schiff auf den Boden sinken würde. Doch nichts geschah! Keinen einzigen Meter waren sie dem Erdboden näher gekommen. Im Gegenteil: die Geschwindigkeit schien sich sogar zu steigern!
Keine fünf Minuten mochten seit Beginn des Dramas verstrichen sein – inzwischen hatte das Luftschiff, das vom Wind unaufhaltsam auf Bernhausen zugetrieben wurde, schon eine Distanz von gut und gerne einem Kilometer zurück gelegt – immer noch verfolgt von den in grotesker Weise hilflos auf ihren Pferden hinterher jagenden Soldaten der Kavallerie, dahinter im Laufschritt die schweißüberströmten Infanteristen, Gendarmen und die zigtausendfache Meute der Neugierigen zu Fuß, auf Fahrrädern und sogar mit einem Automobil, das schwerfällig über die Äcker holperte.
Plötzlich gelangte eine Obstwiese in das Blickfeld des Monteurs und kaum dass Schwarz die Bäume wahrgenommen hatte, gab es einen gewaltsamen Ruck, der ihn beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Der Anker des Luftschiffs hatte sich in einer Baumkrone verfangen, wodurch sich der Ballonkörper mit dem Bug nach unten stark auf die Seite neigte. Mit einem hässlichen Kratzgeräusch streifte nun die Außenhaut des Zeppelin an den Bäumen entlang und wurde aufgeschlitzt, als sich ein Ast tief in das Luftschiff hinein bohrte. Nur bloß nicht die Gaszellen!
Schwarz hatte den Gedanken noch nicht einmal zu Ende gedacht, da zerriss auch schon eine der Gummimembranen. Schlagartig wurde das Zischen lauter. Und nicht nur das!
Beim Zerreißen der Gummimembranen war es in der Gewitterluft zu einer elektrostatischen Entladung gekommen, die das ausströmende Gas entflammte. Schon züngelte eine Flamme unter der Hülle hervor, Brandgeruch stach dem schreckensstarren Monteur in die Nase, während wie aus
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