Ferien vom Ich
lassen Sie Ihre Diener und Ihr Gepäck unten in Waltersburg oder sonstwo auf der Welt Unterkunft suchen und kommen Sie ganz allein, wie Sie hier stehen, mit mir.< Mister Stefenson ärgert sich nicht wenig über diese Ansprache des dienstbaren Geistes, aber er will hinter den >Trick< kommen, deshalb winkt er seinem Gefolge ab und geht in das große Ferienheim des Lebens. Die Pforte fällt hinter ihm zu. Sein Begleiter führt ihn eine Lindenallee bergan. Rechts und links sind Wiesen und einige bebaute Ackerstücke. Am Ende der Allee steht ein von Efeu umsponnenes Haus, so klein wie eine Einsiedlerhütte. Das Häuschen hat nur ein einziges Zimmer, aber das ist bequem hergerichtet, hat ein gutes Bett, einen Schreibtisch, schlichte, aber geschmackvolle Möbel und gute Bilder an den Wänden. In dieses Zimmer führt der Torwart den Mister Stefenson und sagt: >Hier bleiben Sie, lieber Freund, zwei Tage und zwei Nächte. Lesen Sie die wenigen Blätter, die auf dem Schreibtisch liegen, gut durch und schreiben Sie Ihre eigene Lebens- und Leidensgeschichte auf, schreiben Sie auf, was Ihnen an sich selbst nicht gefällt und warum Sie hierhergekommen sind. Nach zwei Tagen wird der Arzt zu Ihnen kommen, wird lesen, was Sie geschrieben haben, und wird den ganzen guten Mannes- und Freundeswillen haben, Ihnen zu dienen und zu helfen. Das Essen wird Ihnen inzwischen durch mich gebracht werden. Finden Sie sich mit den Blättern, die auf dem Schreibtisch liegen, nicht ab, können Sie nicht den Willen aufbringen, Ferien vom Leben zu machen, so hängt hier am Nagel an der Tür ein Schlüssel, der die Pforte unten an der Allee aufsperrt. Lassen Sie den Schlüssel von innen stecken und schlagen Sie die Pforte von außen zu. Zu bezahlen haben Sie für das, was Sie inzwischen genossen, nichts; wir freuen uns, daß Sie einmal dagewesen sind.<
So sagt der Torwart, und dann läßt er den verwunderten Herrn Stefenson allein.
Der setzt sich, noch im Reisemantel, an den Tisch und beginnt zu lesen. Ich kann hier nicht den ganzen Inhalt dieser Blätter aufsagen, sondern nur einige wenige Sätze hervorheben. »Betrachte dein Leben mit allem, was es gebracht hat: Arbeiten, Erholungen, Genüssen, Sünden, als eine Anstrengung, die dich müde gemacht hat und deine Kräfte zermürben wird. Mache dich los von diesen Anstrengungen, spanne aus, mache Ferien. Löse dich zunächst los von dem Götzen, dem du alle Tage opferst, von deinem von dir so zärtlich geliebten Ich. Entkleide diesen Götzen allen Tands, den du ihm mit großen Entbehrungen verschafft hast, seines wohlklingenden Namens, seiner Genußsucht, seiner Herrschaft über Geld und andere Machtmittel.«
Hier unterbrach mich mein Zuhörer.
»Bitte, sagen Sie das nicht mit so phrasenhaften, abstrakten Worten; sagen Sie es einfacher und instruktiver!«
»Schön! Nehmen wir also an, daß jener Herr Stefenson die zwei Tage und Nächte in dem Einsiedlerhäuslein ausgehalten hat, ohne fortzulaufen. Nach zwei Tagen kommt der Arzt. Herr Stefenson wird ihm entgegenrennen und ohne jede Einleitung sagen: »Ich habe Ihre Blätter gelesen und muß Ihnen sagen, Herr Doktor, daß mir die Sache zum Teil sehr abenteuerlich, zum Teil sehr langweilig vorkommt. Warum soll ich zum Beispiel hier in dem Ferienheim nicht mehr Stefenson heißen, sondern einen anderen Namen haben?«
>Setzen Sie sich<, wird der Arzt antworten und Herrn Stefenson auf die Bank neben der Haustür drücken.
>Holen Sie Ihre Lebensbeschreibung.<
Herr Stefenson gehorcht, und der Doktor beginnt zu lesen, was Herr Stefenson in den zwei Tagen einsamer Einkehr in sich selbst über sein Leben niedergeschrieben hat. >Ich werde diese Blätter mitnehmen<, sagt der Doktor, >und sie zu Haus noch einmal lesen, dann bekommen Sie Ihr Manuskript zurück und können es selbst vernichten.<
>Das ist so ähnlich wie bei Lahmann<, sagt Stefenson. >Ja<, nickt der Doktor, >ich habe vieles von Lahmann, der wieder vieles von Prießnitz und anderen hat. Wenn einer hochkommen will, muß er immer auf die Schultern anderer steigen.<
Der Arzt unterhält sich nun lange mit Mister Stefenson und erklärt ihm auch, warum er im Ferienheim des Lebens seinen Namen ablegen soll. >Sie sind hier nicht Mister Stefenson, Sie sind irgendein Mensch, der - sagen wir - John heißt; dieser John hat mit Herrn Stefenson gar nichts zu tun. Stefenson ist irgendwo in New York, Milwaukee oder auf Trinidad, zermartert sich dort sein Hirn um neue Gewinne, wird gelobhudelt, befeindet, belogen,
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