Ferien vom Ich
ermüdende Aufgaben aus der Schule des Lebens. Deshalb bitten wir unsere Feriengäste: Sagt euren Verwandten, gerade, weil wir uns lieb haben, wollen wir uns einmal auf einige Zeit trennen. Schreibt nur im Notfall an mich; alles Kleine laßt weg, erzählt es mir, wenn ich heimkomme. Es wird mir dann lieb sein; es wird sein, als ob wir uns neu gegeben wären. Bedenkt, daß mir von der Leitung des Ferienheims, wenn ich in zwei Wochen mehr als einen Brief erhalte, nahegelegt werden wird, das Heim zu verlassen. Ich kann nicht Ferien machen, ich kann nicht ausspannen, wenn mir die papierene Last immer am Fuß sitzt. Das ist eine scheinbar harte Maßregel des Ferienheims, die viele gehindert hat, zu uns zu kommen, alle zu Sentimentalen; aber wir haben die Anordnung als richtig erkannt und halten an ihr fest. Wer einen großen Teil seines Erholungsaufenthaltes an ein Postbüro binden will, soll anderswo hingehen.
Das ist, wenn ich so sagen darf, die negative Seite unseres Heilverfahrens, das, was wir ausscheiden: Namen, Rang, Titel, moderne Bekleidung, das Geld, die Uhr, die Zeitung, das unnütze Briefschreiben oder, wenn Sie es krasser sagen wollen, Verwandtschafts- und Bekanntschaftsfesseln.
Sie merken schon, Mister John, daß ich an alte Klosterideale angeknüpft habe. Nur, daß es sich eben nicht wie beim Kloster um die Lebenseinrichtung überhaupt, sondern nur um eine Ferienpause des Lebens handelt, und daß wir nicht aus religiösen, sondern aus sanitären Beweggründen handeln. Zur Seelsorge sind wir weder befähigt noch berufen. Aber -um auch diesen wichtigen Punkt zu berühren - wir empfehlen all denen, die noch eine religiöse Anschauung haben, aus reinster Menschenfreundlichkeit, auf Grund dieser Anschauung einen recht tiefen Herzensfrieden mit ihrem Herrgott zu machen; das ist die allergrößte seelische und darum auch die allergrößte körperliche Wohltat. Ein Arzt, der diesen Punkt außer acht ließe, wäre ein Stümper. Deshalb wird all unseren Feriengästen Gelegenheit geboten, Gott zu dienen, wie sie es bedürfen. Daß wir uns dabei jeder Einmischung in dieses ureigenste Gebiet des Menschen enthalten, ist ganz selbstverständlich.
Die ärztliche Behandlung wird natürlich für jeden Feriengast individuell sein; für Schwerkranke ist das Ferienheim kaum, mehr für die Müden, für die, die das Leben in seiner Hast und Hohlheit nicht mehr freut, für die, die gern noch einmal mit frischen Kräften von vorn anfangen möchten.
Für die Alkoholkranken, die Morphium- und Opiumsüchtigen hat man jetzt draußen Entziehungskuren, die großen Segen bewirken; wir wollen hier allen denen Entziehungskuren gewähren, die auf irgendeine Weise vom Leben vergiftet sind. Ganz generell werden alle erlöst von allem Eitlen und Hohlen ihres bisherigen Daseins, von der drückenden Last öffentlichen und privaten Lebens, von unnützen Bedürfnissen; individuell sollen sie erlöst werden von ihren Krankheiten, Lebenssünden und Lebensschwächen, von unfruchtbarer Sorge, Angst und Reue, sollen Kraft im Frieden und die kostbare Fähigkeit zur Freude gewinnen.
Wir scheiden aus dem Ferienheim die üblichen Vergnügungen aus. Sie finden bei uns keine Rennen, Reunions, Tombolas, Früh-, Mittag- und Abendkonzerte, keine Spielsäle, Taubenschießen, Theater- und Varietevorstellungen, keine prunkhaften Umzüge und italienischen Nächte - denn das alles ist nichts als anstrengende Hohe Schule des Lebens und betrügt alle die, die mit neuen Kräften nach Hause kommen wollen. Wir suchen die Freude. Das ist die Freude an gesunder Beschäftigung in frischer Luft. Sie, lieber John, werden wahrscheinlich einige Gartenbeete umgraben müssen, auch werden Sie sich gelegentlich am Fällen eines Baumes oder am Holzsägen beteiligen müssen; es kann aber auch sein, daß Sie mal einen Hecht angeln oder ein paar Körbe Äpfel pflücken müssen. Da Sie, wie Ihre Niederschrift ausweist, seit zwanzig Jahren kein schöngeistiges Buch gelesen haben, werden Sie um das Quantum von drei Romanen, einem Epos und einem Bändchen Lyrik nicht herumkommen. Während wir bei sogenannten Leseratten Entziehungskuren machen, muß bei Ihnen in diesem Falle eine Art Zwangsernährung einsetzen. Die körperliche Kost wird ganz Ihrem Befinden angemessen und natürlich gut und schmackhaft sein. Alle Wochen zweimal werden Sie sich das Abendbrot selbst bereiten. Wie Sie das anstellen, ist Ihrer Phantasie überlassen. Im großen Küchen- und Vorratshause finden Sie alle
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