Ferne Verwandte
passende Gelegenheit abzuwarten und ihn zu zwingen, wie man so schön sagt, in den Hafen der Ehe einzulaufen. Sie braucht nicht lange zu warten. Enrico verliebt sich in Maddalena Doni. Maddalena ist ein blühendes, schönes Mädchen mit schwarzer Mähne, aus gutem Hause zumal, die einzige und innig geliebte Tochter von Ferruccio Doni, der im Ort für die Steuereinnahmen verantwortlich ist. Für Papà wäre sie eine von vielen geworden, doch dank der Intervention der Großmutter wird sie meine Mutter. Die beiden treffen sich jeden Nachmittag im außerhalb des Dorfes gelegenen Lager der Ölfabrik, und Nonnilde richtet es so ein, dass Ferruccio Doni, Maddalenas Vater, die beiden eines Tages ertappt.
Der in seiner Ehre gekränkte Vater ist nicht nur Steuereinnehmer - ein Aspekt, der bei der Wahl der Großmutter eine Rolle gespielt haben muss, denn welcher Unternehmer möchte nicht mit einem solchen verwandt sein? -, er ist auch der getreue Prior der Bruderschaft vom Allerheiligsten Sakrament sowie Provinzrat der
Katholischen Aktion, weil er nämlich alles versucht, um mittels der Religion die Ausbrüche seines sanguinischen und von Natur aus aufbrausenden Charakters - der ihn zu einem der hitzigsten Teilnehmer des Marsches auf Rom gemacht hatte - abzumildern. Die Heirat mit Donna Nora, der edlen Nichte von Don Ferdinando Talete, dem Päpstlichen Geheimkämmerer, der schon zu Lebzeiten im Geruch der Heiligkeit stand, hatte ihn auf diesen Weg gelenkt, aber dass ihm in dieser Hinsicht kein voller Erfolg beschieden ist, bezeugen die öffentlich ausgetragenen Handgreiflichkeiten, zu denen es alljährlich aus nichtigem Anlass kommt. Doch ist es gerade sein gewalttätiges Naturell, das Nonnilde zu ihrer Wahl bewegt: Wer wäre besser geeignet als ein nicht nur bigotter, sondern auch noch rauflustiger Schwiegervater, um die Launen eines zügellosen Schwiegersohns im Zaum zu halten? Und so geht Enrico, kaum drei Monate nachdem ihn Großvater Ferruccio in flagranti mit Maddalena erwischt hatte - er ist buchstäblich mit einem blauen Auge davongekommen -, eine regelrechte Mussehe ein.
Bis hierhin scheint sich alles nach den Plänen der alten Dame zu entwickeln, doch unter den Geschenken, die bei den Jungvermählten eintreffen, befindet sich auch ein Flugticket in die Vereinigten Staaten von Onkel Richard. Nach der Rückkehr von diesen unvergesslichen Flitterwochen ist Papà nicht mehr derselbe. Er ist traurig, abgestumpft und niedergeschlagen. Endlich hat er verstanden, was unter dem American Dream zu verstehen ist, und zwar in seiner vollkommensten Erfüllung. Nach allem, was er gesehen hat, kann er sein Leben im Dorf nur noch als entwürdigend und den Umsatz der Premiata nur noch als demütigend empfinden . Er möchte in Onkel Richards Fußstapfen treten und ebenfalls nach Amerika auswandern, doch als Großvater Ferruccio dieser Wunsch zu Ohren kommt, hätte er beinahe wieder auf ihn eingedroschen. »Meine Tochter bewegt sich keinen Schritt von hier fort, und du, der du ihr Ehemann bist, müsstest schon über meine Leiche gehen!«, brüllt er mit hochrotem Gesicht. Nonnilde blinzelt zufrieden. Mein Vater dagegen wird immer trauriger und trostloser. Er lebt nur auf, wenn
er jemanden findet, der ihm bereitwillig zuhört - was nach den ersten Monaten immer seltener der Fall ist - und dem er von dem märchenhaften Reichtum der fernen Verwandten erzählen kann, von ihren weißen Villen am Hudson River, den Abenden im Theater, den Männern im Smoking, den Frauen mit ihren Juwelen, die hinter den Scheiben riesiger Straßenkreuzer und vor der düsteren, aber merkwürdig romantischen Masse der Wolkenkratzer funkeln, den Partys auf Tuchfühlung mit Filmstars wie Ava Gardner, die ihn anstarrte, bis er dahinschmolz, oder Frank Sinatra, der, nachdem er ihn um Feuer gebeten hatte, mit seinem Drink bei ihm stehen blieb und herumscherzte, um ihn schließlich für die Woche darauf zu einem Fest bei sich zu Hause einzuladen … Doch just in dieser Woche hatte er abreisen müssen. Am Ende seufzt er jedes Mal ausgiebig, und sein Blick nimmt den untröstlichen Ausdruck eines Verliebten an, der seine einzige, seine wahre, seine große Liebe für immer verloren hat. Mit der Zeit jedoch scheint er sich mit seinem Schicksal abzufinden. Was bleibt ihm schon anderes übrig bei einer solchen Mutter und vor allem einem solchen Schwachkopf von Schwiegervater? Binnen eines Jahres passieren dann allerdings zwei Dinge, die seine Existenz - oder das wenige, was
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