Ferne Verwandte
über eine Turnhalle verfügt! - und zeigt sich als Einzige für mein Unglück vollkommen unempfänglich. Mit derselben Kälte behandelt sie die ganze Familie. Sie führt ein vollkommen eigenständiges Leben, als wäre sie ein Pensionsgast auf dem Weg zu höheren und unergründlichen Zielen, und ist eigentlich die ideale Frau für den Austrungarico . Vor allem aber hat sie zwei große, zwei riesengroße Brüste, und tatsächlich ist es der Anblick derselben, der diese Nacht im späten Frühjahr zu einer besonderen macht.
Von einem unbekannten Impuls getrieben - ich bin schließlich noch ein Kind -, starre ich die Dinger erstaunt an, während sie sich im Mondlicht rhythmisch heben und senken, und ich weiß nicht, was ich darum geben würde, dürfte ich sie berühren, aber wie, da doch zwischen mir und ihrer Besitzerin Tante Ines liegt, die in Abwesenheit ihres Gatten neben ihr hatte schlafen wollen, in einem weiteren vergeblichen Versuch, töchterliche Liebe in ihr zu wecken? Jedenfalls wälze ich mich herum und höre die belegte Stimme der Tante sagen: »Aber was hast du denn, Carlino? Warum schläfst du nicht, mein Schatz?«
»Ich muss mal … Ich muss Pipi machen«, stammle ich das Erstbeste, was mir einfällt.
»Dann geh doch, los«, flüstert sie verständnisvoll.
Ich seufze und gehe. Ich durchquere ein Zimmer nach dem anderen. Ich schaue auf die Leinenvorhänge vor den Fenstern, die wie träge Gespenster wallen. Ich höre die Vitrinen klirren, die vollgepackt
sind mit Tellern, Bestecken und Gläsern. Ich sehe, wie die Statue der heiligen Barbara ihre zugespitzte Hand - eine Art mit Rasierklingen gespickte Peitsche - bewegt: Ich weiß, es geschieht, weil der Boden unter meinen Füßen bebt, so alt und ramponiert ist dieses Haus, aber trotz meines zarten Alters ist mir ebenso klar, dass ich gesündigt habe und dass die heilige Barbara zwar die Schutzpatronin der Feuerwehrleute ist, aber auch eine so schreckliche Heilige, dass sie im Dorf mit einem einzigen Blitz ihre eigene Kirche zerstört hat. Was könnte sie also mir, der ich auf die Brüste meiner Cousine geschielt habe, nicht alles antun? Während ich noch darüber nachdenke, kommt es mir vor, als wäre die Statue von ihrem Sockel heruntergesprungen, um mich in der Hölle zu versenken … Bis ich endlich das Klo erreiche, die Tür absperre und mich unter dem Licht der nackten Glühlampe in Sicherheit fühle.
Ich betrachte die Illustrierten mit den herausgerissenen Seiten, die als Toilettenpapier dienen, die bunten Etiketten der Reinigungsmittel gegen das weiße Schwammzeug an der Wand, das kleine Radio, dessen Batterien mit Heftpflaster befestigt sind: Dies ist eine Insel der Realität inmitten eines Meeres der Finsternis. Es ist einer jener Aborte, die man an die alten Häuser drangeklebt hat und die an über dem Tal schwebende Schilderhäuschen erinnern, und obwohl die blühenden Bäume weiß durch die Ritzen leuchten, durchrieselt mich beim Pipimachen ein Schauer, als striche die eisige Winterluft um mich herum. Ich tue einen Schritt zur Seite, richte den Strahl neu aus und sehe zu, wie er sich an der angeschlagenen Emailleschicht der Schüssel bricht. Für gewöhnlich frage ich mich, wo er endet: gewiss doch im Garten, und dann? Wie oft habe ich den Verlauf der in die Wand eingelassenen Leitung studiert und gesehen, wie sie in der Erde verschwindet, habe ihre mutmaßliche Bahn bis zum moosbewachsenen Mäuerchen verfolgt und mit Schwindelgefühlen den darunter gelegenen Felsüberhang betrachtet - wie oft, ohne je die Antwort zu finden? Am Ende schüttle ich mich ein wenig und verräume meinen Pimmel, zusammen mit dieser brennenden Frage. Als ich allerdings die Tür öffne, packt mich erneut
die Angst. Eine Hand auf dem Herzen, bleibe ich starr stehen: Ich bitte die heilige Barbara wegen meiner schlimmen Gedanken um Vergebung, und sobald ich überzeugt bin, dass sie mir verziehen hat, renne ich den ganzen Weg mit Überschallgeschwindigkeit zurück. Aber kaum bin ich im Zimmer von Tante Ines - hinter mir noch der Höllenschlund, der mich beinahe verschlungen hätte -, fällt mein Blick auf Teas Riesentitten, diese zwei friedlichen Inseln, die sich aus dem bleichen Meer der Leintücher erheben, und ich zögere nicht: Statt an meinen Platz zurückzukehren, lege ich mich neben sie, neben meine Cousine Tea.
Mir ist bewusst, dass ich etwas riskiere. Wie ich Tea kenne, ist sie im günstigsten Fall imstande loszuschreien, und was würde Tante Ines sagen, und
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