Ferne Verwandte
wie mir während der Tagliolini-Tortur mitgeteilt wurde - meine Vertreibung aus dem weiblichen Universum, das mich bis dahin zärtlich umfangen hatte.
Und so vollzog sich mein Eintritt in die Welt der Erwachsenen.
3
Meine Haupttätigkeit zu Beginn des folgenden Sommers bestand darin, beim Melken von etwa zehn Stück Braunvieh zu helfen. Die Großmutter hatte mich nämlich zu Genuario, einem ihrer Pächter, verbannt, der in der Zeit, in der er nicht für ihre Firma, die Premiata Olii Superfini, arbeitete, also meistens, bei seinem Vieh draußen auf dem Land blieb.
Genuario - über vierzig, immer einen Hut von der Farbe ausgeblichenen Tabaks auf dem Kopf, passend zum dunklen Honigblond seiner Haare, und so hager, dass er einem groß vorkommt - hat ein kantiges Gesicht wie ein amerikanischer Schauspieler. Er ist auch schweigsam wie ein amerikanischer Schauspieler, einer von denen, die im Film immer ein schlimmes Ende nehmen. Ich vermute, dass er das nicht weiß, denn er hat keinen Fernseher und dürfte selten in seinem Leben ins Kino gegangen sein - stattdessen hört er Radio. Jetzt im Sommer hat er es draußen stehen, auf einem Fensterbrett im Hof. Abends nach dem Essen schaltet er es ein. Ich sehe die Kontrolllampe immer heller werden wie ein Asteroid, der aus der Ferne des Weltraums auftaucht, und während Genuario auf einer Stufe sitzt und sich eine Zigarette dreht, höre ich diese rätselhafte Sprache.
»Das ist Jugoslawisch«, erklärte er mir beim ersten Mal, »da bin ich im Krieg gewesen, in Jugoslawien.« Dann sagte er nichts mehr, obwohl ich ihn bat, mir etwas vom Krieg zu erzählen - wie alle Kinder war ich scharf auf blutrünstige Geschichten. Dass er meiner Bitte eigentlich nachkommen wollte, erkannte ich an der Falte, die
sich auf seiner Stirn abzeichnete, aber in der Zeit, die er brauchte, um sich zu entscheiden, erklang schon wieder eines jener Musikstücke mit Violinen und Bläsern. Den Kopf gegen die Tür gelehnt und die Augen geschlossen, bedeutete er mir, den Mund zu halten.
Man merkt sofort, dass er ungern redet, dass ihm das Reden schwerfällt. Aber nicht aus diesem Grund habe ich ihn seither nichts mehr gefragt, sondern weil mir am Ende des Tages die Worte ausgegangen sind, sodass ich auf dem Liegestuhl unter der Pergola ebenfalls lieber stumm bleibe und mich von den schwermütigen Liedern einlullen lasse. Ansonsten herrscht eine große Stille: Man hört nur die Grillen und im Haus Vitina. Vitina ist die Frau des Pächters und der wahre Grund meiner Erschöpfung.
Von hier aus kann ich sie sehen, neben Fausto, ihrem zweiten Sohn, der an dem niedrigen Tisch sitzt, an dem wir gerade zu Abend gegessen haben, und wie immer auf eine bestimmte Stelle an der Wand starrt. »Er iss’n bisschen verwildert, aber ihr könnt Freunde werden«, hatte sie mir bei meiner Ankunft gesagt, obwohl ich seither aus seinem Mund kein einziges Wort vernommen habe. So ist Vitina auch jetzt die Einzige, die spricht, wie übrigens den ganzen Tag. Trotz ihres Namens, der etwas Rankes, Schlankes suggeriert, ist sie riesig und massig, viel größer als ihr Mann, und nur wenn man genau hinschaut, merkt man überhaupt, dass es sich um eine Frau handelt. Ihre Schultern, Arme und Beine sind wahre Muskelpakete, und ihre Waden scheinen zu explodieren in den schottischen Kniestrümpfen, auf die sie mächtig stolz ist: »Die sind so praktisch, die bringt mir Piètr aus Milàn mit.« Sie bindet sich ein Riesentuch um den Kopf, immer dasselbe, eines mit violetten Blumen, und es reicht ihr bis an die Augen, die kugelrund sind wie die von Fausto. Von Piètr, dem »Mailänder« Sohn, steht ein Foto auf dem Kamin, wie er in der Dorfkapelle mitspielt: Er ist eine gelungene Kopie seines Vaters. Vitinas einziges weibliches Attribut ist ihre Stimme - fein, vibrierend, hüpfend und schwebend, ganz nach Art der Nachtigall, aber man hat gerade noch Zeit, sich darüber zu wundern, wie eine solche Megäre eine derart harmonische Musik
hervorbringen kann, schon hat sie einem den Verstand geraubt. An dem Tag jedoch, da die Großmutter mich aufs Land verfrachtet hatte, war es genau diese Stimme gewesen, die mich rettete.
An jenem Tag, es war der erste Tag nach Schuljahresschluss, blickten mich alle mit zärtlicheren Augen an als sonst. Tante Ines gab mir einen Kuss, schlug sich dann auf den Mund und lief davon. »Sie hat Zahnweh«, sagte Onkel Erminio und fragte mich, ob ich ihn im Lastwagen begleiten wolle. Und ich freue mich doch immer so, wenn
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