Fernsehkoeche kuesst man nicht
hin«, stellte die Schwester fest, die unserem Disput bisher nur still gelauscht hatte.
Ich schluckte. »Ich befürchte es auch.«
Gemeinsam wuchteten wir seine Beine auf das Bett zurück. Ich bemühte mich zu ignorieren, dass das flatterige OP-Hemd seine Blöße nur unzulänglich verbarg. Schnell stopfte ich die Bettdecke über ihm fest, damit er nicht fror.
»Er kann Metamizol auf Schiene und Dipi bei Bedarf haben«, gab ich der Schwester Anweisungen und half ihr, das Bett durch die Tür zu schieben. Langsam rollte es den Gang hinunter. Ein Arm des Fernsehkochs hing schlaff unter der Decke hervor. Ich wusste zwar nicht, warum ich das tat, denn er konnte mich ohnehin nicht sehen, aber ich winkte ihm nach.
Barolo und noch mehr Barolo
Aus »Das Rezept seines Erfolgs: Raphael Richter – eine Biografie« von Barbara Olivier
Mit siebzehn wusste Raphael Richter ganz genau, wie sein weiteres Leben verlaufen würde. Zumindest beruflich. Während einer Deutschklausur, in der er über Zuckmayers »Des Teufels General« brütete, überkam ihn ein großer Hunger, wie er sich heute noch erinnert. Ungeniert wickelte er sein Pausenbrot aus und biss in den Südtiroler Schinken. Er schmeckte Rosmarin und Wacholder und träumte selig.
Als der Lehrer seiner ansichtig wurde, hob dieser eine Augenbraue an. Raphael lächelte entschuldigend und tat, als schriebe er. Dabei zeichnete er nur einige Lorbeerblätter in die rechte obere Ecke des Blattes. Des Teufels General interessierte ihn kein bisschen, dafür ersann er ein Rezept für Rinderbraten, in dem eine Flasche Barolo die Hauptrolle spielte. Die letzten Sommerferien hatte er mit seiner Mutter im Piemont verbracht, Barbaresco und eben diesen Barolo genossen, die ersten weißen Trüffel selbst gesammelt – ein erhebender Augenblick. Sie hatten nicht die ehrwürdige Abtei besichtigt oder das alte Kloster San Giulio. Stattdessen hatten sie Bauernhöfe besucht, wo der Schinken an der Decke trocknete, und Küchen, in denen Gnocchi gerollt und in Stücke geschnitten wurden. Raphael lernte, mit welchem Druck man die Pasta mithilfe einer Gabel durch das Mehl wälzte, damit sie ihre typischen Rillen erhielt. Er lernte, dass man, um perfekte Tajarin herzustellen, zwanzig Eier in ein einziges Kilo Mehl kneten musste und diese nach dem Kochen lediglich in Butter schwenken oder allenfalls mit ein paar Trüffelspänen bestreuen durfte. Er wusste seit seiner Kindheit, dass Kochen und Essen Ruhe und Zeit benötigten, aber erst im Piemont wurde diese Grundlage in seinem Kopf zementiert.
Sie besuchten Landgasthöfe und aßen sich durch die zehn Vorspeisen, die es brauchte, um eine piemontesische Köchin erst in Wallung zu bringen. Er nervte das Personal so lange, bis er das Heiligtum betreten durfte, in dem diese Köstlichkeiten entstanden. Raphael kochte dort Carne cruda, Bollito misto, Coniglio und den Brasato al Barolo, der ihn jetzt zu diesem neuen Rezept inspirierte. In Gedanken tauchte er wieder das Gemüse in Bagna caoda, eine Soße aus Sardellen, Knoblauch und Olivenöl. Sein Kuli fuhr über das glatte Papier und notierte Sellerie, Möhren und eine einzige rote Zwiebel. Zwei Sardellenfilets würden ausreichen, überlegte er und schnupperte, weil er meinte, den würzigen Geruch der getrockneten Tomaten zu erahnen. Aber stattdessen roch er nur das muffige Aroma, das sich nach dem Sportunterricht immer in der Klasse ausbreitete.
Ein Gedanke, der sich schon länger angebahnt hatte, formte sich wohl in diesem Augenblick zur Gewissheit und ließ ihn geradezu kribbelig werden: Er vergeudete hier wertvolle Jahre! Er könnte bereits viel weiter sein. Erfahrener.
Er beschloss, dass es nun an der Zeit wäre, diese Sinnlosigkeit zu beenden. Sollten andere sich darum kümmern, Hitler sein Quartier in der Hölle zu bereiten, er würde keine Zeit mehr an Dramen verschwenden, wenn es galt, ein Essen zu kochen. Nicht eine Minute!
Er wickelte die Reste seines Brotes ein und kritzelte noch einige Mengenangaben auf das Blatt. Dann schnappte er sich seine Schultasche.
Sein Lehrer war überrascht. Es war schließlich das erste Mal, dass Raphael seine Arbeit vor dem Pausenklingeln abgab. Stirnrunzelnd beäugte er die Zeichnung auf dem Papier und überflog die Zutatenliste.
Raphael erklärte ihm unmissverständlich, dass er mit der Schule fertig sei.
»Nehmen Sie das als Erinnerung«, sagte er seinem Lehrer. »Aber nicht, dass Sie auf die Idee kommen, die Soße mit Mehl zu binden.
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